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Der Schlangenmensch

Der Schlangenmensch

Titel: Der Schlangenmensch
Autoren: Stefan Wolf
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war vor Jahren bei einem Unfall verstorben.
    Zur TKKG-Bande hatten sich die
vier Freunde zusammengeschlossen: Tarzan, Karl, Klößchen — der heute mit
Halsentzündung im Internat im Bett lag — und Gaby. Aus den Anfangsbuchstaben
ihrer Vor-, beziehungsweise Spitznamen hatten sie die Bezeichnung gebildet.
    Tarzan war der Anführer der
Bande. Natürlich hieß er nicht Tarzan. Auch das war ein Spitzname. Aber daß er
mit Peter Carsten angeredet wurde, kam höchst selten vor: eigentlich nur, wenn
einem Lehrer mal die Galle überlief. Der Spitzname paßte dem Jungen
maßgeschneidert.
    Er war dreizehneinhalb Jahre
alt, ungewöhnlich groß und kräftig, außerdem ein hervorragender Sportler. Im
Judo war er ein As, desgleichen beim Volleyball. Er konnte mit affenartiger
Geschwindigkeit am Kletterseil hochturnen, hatte dunkle Locken, blaue Augen und
stets gebräunte Haut. In Mathe war er Klassenbester. Als geborener Draufgänger
kannte seine Unternehmungslust keine Grenzen. Ungerechtigkeit konnte ihn
fuchsteufelswild machen. Dann setzte er sich ein — ohne Rücksicht auf die
eigene Person, wodurch aus Mut oft Tollkühnheit wurde. Aber dank seiner
Sportlichkeit und seines wachen Verstandes war er noch nie auf die Nase
gefallen.
    Daß in einer Jungen-Bande ein
Mädchen mitmacht, ist sicherlich Seltenheit. Aber Gaby Glöckner war nicht mehr
wegzudenken. Sie galt als eines der hübschesten Mädchen der großen Schule,
obwohl auch sie, Gaby, wie ihre Freunde, erst 13 war — und ein paar Monate,
wenn man’s genau nahm. Sie hatte langes, goldblondes Haar. Und kornblumenblaue
Augen mit pechschwarzen Wimpern. Die immer etwas zu langen Ponyfransen schnitt
sie mit der Papierschere. Aber auch dann betrug die Kürzung nur wenige
Millimeter. Gabys Glanzfach war Englisch, und als Rückenschwimmerin hatte sie
schon viele Preise gewonnen. Ihr Vater, Emil Glöckner, war Kriminalkommissar
und bei den Jungs überaus beliebt. Gabys Mutter hatte ein kleines
Lebensmittelgeschäft und wurde von den Freunden ihrer Tochter regelrecht
verehrt. Sie war liebenswürdig und eine aparte Erscheinung.
    Alle TKKG-Mitglieder besuchten
die Klasse 9b, wo sie freilich unter 14jährigen die Jüngsten waren. Das hing
mit verfrühter Einschulung zusammen — damals vor neun Jahren. Und bis jetzt
hatte noch keiner der vier eine Ehrenrunde gemacht. Dafür kam sowieso nur
Klößchen in Frage, der Anstrengungen — auch geistige — verabscheute.
    Gaby und Tarzan bogen jetzt in
die ehrwürdige Altstadtstraße, in der die Glöckners wohnten.
    Sie hielten vor dem
Lebensmittelgeschäft.
    „Schade ist nur“, sagte Gaby, „daß
Anke nicht dabei sein konnte. Sie hatte sich sooo auf die Party gefreut.“
    „Ah, ja?“ Tarzan beobachtete
eine Katze, deren phosphoreszierende Augen in einem Hauseingang leuchteten.
„Weshalb ist sie nicht gekommen?“
    „Ihre Mutter hatte einen
schweren Asthma-Anfall. Anke mußte sich um die beiden kleinen Geschwister
kümmern. Ich glaube, die ganze Familie ist arm dran.“
    „Ich kenne außer Anke nur den
Vater. Das heißt: Vom Sehen. Gesprochen habe ich mit ihm noch nicht.“
    „Den kenne ich wiederum nicht.“
    „Da mußt du zweimal hingucken“,
lachte Tarzan. „So schmal steht der Herr Dürrmeier in der Landschaft.
Verglichen mit ihm ist Karl ein Herkules. Aber es hat auch Vorteile, wenn man
so schmächtig ist. Soviel ich weiß, war Ankes Vater früher Artist. Ist als
Schlangenmensch aufgetreten. Er sieht auch aus, als könnte er bei einem
Einkaufsnetz durch die Maschen kriechen. Jetzt hat er die kleine Tankstelle
draußen in der Klostertaler Landstraße.“
    „Ankes Mutter hatte eine
Drogerie. Aber wegen ihrer Krankheit mußte sie die aufgeben. Anke deutete mal
an, daß sie seitdem furchtbar viel Schulden haben.“
    „Schlimm!“
    Anke Dürrmeier war
Klassenkameradin der beiden, eine stille, scheue 14jährige, die jeder mochte.
    Es konnte vorkommen, daß sie während
des Unterrichts einschlief. Aber das lag nicht an mangelndem Interesse, sondern
an ihrer ständigen Übermüdung. Um ihre Eltern zu unterstützen, ließ Anke keine
Gelegenheit zum Geldverdienen aus. Halbe Nächte brachte sie zu als Babysitter -
indem sie auf die Kleinkinder fremder Leute aufpaßte. Außerdem trug sie in
aller Frühe Zeitungen aus.
    „Gute Nacht, Tarzan!“ Gaby
stupste ihn mit dem Finger an. „Und morgen wie verabredet.“
    „Gute Nacht, Pfote! Träum was
Schönes.“
    Er wartete, bis sie mit ihrem
Rad hinter der Haustür verschwunden
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