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Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)

Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)

Titel: Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
Autoren: A. J. Kazinski
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den Schultern: »Die moderne Welt, gewöhn dich dran.«
    Niels tauchte unter der Polizeiabsperrung hindurch und lief auf die Brücke, er sah die nackte Frau, die oben auf dem Aufzugturm balancierte, jetzt besser. Wie eine Statue, dachte Niels. Dünn. Ein Mädchenkörper mit dem Gesicht einer Frau. Haut und Knochen. Dann legte sie sich hin.
    »Bentzon?«
    Er drehte sich zu Leon, der ganz dicht an ihn herantrat, damit keiner der anderen Beamten ihn hörte:
    »Das wird schon gut gehen. Du hast doch nie wen verloren, und das wirst du auch heute Abend nicht«, flüsterte Leon und rundete seine Aussage mit einem seltenen, ehrlichen Lächeln ab, während er Niels’ Arm leicht drückte. Vielleicht war er einfach nur froh darüber, nicht selbst dort hinaufzumüssen.

4.
    Bahnhof Dybbølsbrücke, 23.51 Uhr
    Nein, sie durfte jetzt nicht schlafen. Das Bild kehrte zurück: der Fisch am Haken. Wenn sie jetzt einschlief, würde er sie holen und wieder sein Spiel mit ihr treiben. Sie töten und zurückholen. Wieder und wieder. Eine ganze Ewigkeit lang.
    Ewigkeit .
    Das Wort weckte sie. Sie richtete sich auf, nicht ganz sicher, wo sie war. Oder warum sie hier war. Ein unfreiwilliges Lachen kam beim Anblick der Zuschauer über ihre Lippen. Einen Augen blick lang verwechselte sie das kalte Gitter des Fahrstuhldachs mit einer Bühne. Wirklich? Sie stand wieder auf. Die Leute riefen ihr etwas zu. Sie wusste, dass es der Stoff war, den er ihr injiziert hatte, der ihre Wahrnehmung und ihren Gehörsinn beeinträchtigte. Dann sah sie ihn. Er stand unten bei den anderen Zuschauern. Der Teufel. Winkte er ihr nicht sogar lächelnd zu? Sie wich instinktiv einen kleinen Schritt zurück.
    »Ich komme jetzt zu Ihnen hoch«, sagte eine Stimme hinter ihr.
    War er das? Oder war das ein anderer? Wie konnte er sowohl dort unten als auch hier sein? Aber die Antwort lag auf der Hand: Die Medikamente in ihrem Körper machten es ihr unmöglich, das zu unterscheiden. Du darfst deinen Augen nicht trauen, sagte sie zu sich selbst. Darfst nicht glauben, was du hörst. Nicht einschlafen. Um Gottes willen. Halt dich wach.

5.
    Bahnhof Dybbølsbrücke, 23.53 Uhr
    »Ich komme jetzt zu Ihnen hoch«, sagte Niels und wartete noch ein paar Sekunden. Er atmete tief durch und ließ den üblichen Gedanken kommen und gehen: Wieder mischte er sich jetzt in einen tiefen, persönlichen Beschluss ein, wozu er eigentlich kein Recht hatte. Die Situation an sich war im Grunde banal: Eine Frau hatte genug vom Leben und wollte nicht mehr. Das war ihr gutes Recht. Und sie war nicht die Erste, die zu einem solchen Entschluss gekommen war. Die Gesellschaft kann so etwas aber nicht akzeptieren. Es ist nicht richtig, seine Probleme auf diese Art zu lösen. Sich das Leben zu nehmen ist eine unzivilisierte Handlung. Wir haben dazu sogar die Rechtsprechung bemüht. Selbstmord ist verboten. So ist es. Man darf essen, trinken, lieben, hassen, schlagen, rauchen, vor die Hunde gehen, Erfolg haben, im Großen und Ganzen leben, wie man will. Man darf sogar aufhören, den zu lieben, mit dem man verheiratet ist, dachte Niels und spürte einen Stich in seiner Brust. Aber sterben, sterben durfte man nicht. Nicht durch die eigene Hand. Das war verboten. Und an dieser Stelle kam ich ins Bild. Die letzte Waffe der Zivilisation. Zu der man griff, wenn Psychologen, Psychia ter, Arbeitsamt, Entwöhnungskliniken, Paartherapeuten und wer sich in unserer Gesellschaft sonst noch alles dafür einsetzte, dass Menschen nicht in einer warmen Sommernacht mitten auf der Dybbølsbrücke standen, um in den Tod zu springen, versagt hatten. Ich wurde gerufen, wenn sich die Situation so zugespitzt hatte, dass die Ent scheidung für Leben oder Tod im wahrsten Sinne des Wortes nur noch Zentimeter auseinanderlag.
    Gut fünfzehn Jahre arbeitete Niels jetzt schon in der Mordkommission, zwei Drittel der Zeit davon als Unterhändler. Der Grund dafür war einfach, er verstand sich auf die Menschen. Er konnte zuhören, sich in seine Gegenüber hineindenken, sie er gründen. Auch wenn es sich um Extremsituationen handelte. Geisel nahmen, Selbstmörder, psychische Wracks.
    »Beeilen Sie sich, sie springt«, rief ihm einer der Schaulusti gen zu.
    Niels schüttelte den Kopf. Es kam nicht darauf an, sich zu be eilen. Im Gegenteil. Man musste Zeit gewinnen. Signalisieren, dass die Zeit nicht knapp war. Man Ruhe und Muße hatte. War das hier erst einmal überstanden, versuchte Niels auszustrahlen, lag ein langes Leben vor dem
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