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Der Schiffsjunge der Santa Maria

Der Schiffsjunge der Santa Maria

Titel: Der Schiffsjunge der Santa Maria
Autoren: Frank Schwieger
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bereitwillig gaben, wenn die sie darum baten.
    In diesen Tagen saß Anacano im Laderaum der Santa Maria, zwischen den Frischwasserfässern, an Händen und Füßen gefesselt. Er sprach kein Wort, auch nicht mit Luis oder Ramon, die in ihren Pausen immer wieder zu ihm hinunterschauten und ihm etwas zu essen brachten: etwas Pökelfleisch oder den Rest von der Bohnensuppe. Wenn Anacano überhaupt etwas davon aß, dann nur mit einem angewiderten Gesichtsausdruck.
    »Wenn er so weitermacht, verhungert er uns noch«, sagte Luis zu Ramon, der in die Ruderkammer gekommen war. Da das Schiff gerade vor Anker lag, hatte Peralonso frei und Luis war allein dort. Seit der Abfahrt von San Salvador hatte er immer mehr Zeit mit Ramon verbracht. Die Garstigkeiten seines ehemaligen Feindes hatte Luis ihm verziehen. Und er musste feststellen, dass Ramon gar nicht so unsympathisch war, wie er lange gedacht hatte.
    Ramon nickte besorgt. »Fleisch isst er gar nicht. Nur die Früchte, die die Männer vom Landgang mit an Bord bringen.«
    »Er sieht schon ganz blass aus«, sagte Luis und drehte die Ampolleta um. Der Sand war eben durchgelaufen.»Wenn das so weitergeht, wird er nicht lebend in Spanien ankommen. Wir müssen etwas tun.«
    »Ja, aber was? Wollen wir den Admiral fragen, ob er ihn nicht freilassen kann?«
    »Ist zwecklos«, sagte Luis. »Ich hab’s schon zweimal versucht. Der will die Indios unbedingt mitnehmen, um dem König zu beweisen, dass er Indien gefunden hat.«
    »Aber ist das hier wirklich Indien?«, fragte Ramon.
    »Ich hab’s mir auch anders vorgestellt«, sagte Luis. »Aber es ist sehr schön. Ganz anders als bei uns in Spanien, findest du nicht? Wie im Paradies. Die Leute hier kennen kein Geld. Keine Schwerter oder Musketen. Keine Rüstungen oder Kanonen.«
    »Aber auch keine Schiffe. Und keine festen Häuser oder Städte. Und keine Klöster oder Kirchen.«
    Luis zuckte mit den Schultern. »Und wennschon. Sie sehen glücklich aus, ist dir das nicht aufgefallen?«
    Ramon legte die Stirn in Falten und nickte. »Ja«, sagte er, »du hast recht.«
    »Also müssen wir etwas tun«, sagte Luis.
    »Du meinst, wir sollten Anacano   …«
    »Pssst, nicht so laut!«, zischte Luis und begann zu flüstern. »Hör zu, ich hab schon eine Idee   …«
     
    Der Admiral hatte den Befehl gegeben, am nächsten Morgen die Anker zu lichten und in Richtung Süden weiterzufahren. Dort befände sich eine große Insel, die die Eingeborenen Kuba nannten. Auf dieser sollte es einen König geben, gewaltige Städte und vor allem große Goldvorkommen. Kolumbus war sich sicher, dass dieses Kuba nichts anderes sein könne als Zipangu, das sagenhafte Zipangu, wo es goldgedeckte Häuser gab mit Balkonen aus Elfenbein, prachtvolle Tempel und in Seide gekleidete Fürsten, die von ihren Dienern in Sänften umhergetragen wurden. Und von dort aus könne es nicht mehr weit sein bis nach Indien.
    Es war eine dunkle Nacht. Die Sterne und die Mondsichel waren von Wolken bedeckt. Eine einzige Laterne am Besanmast warf ihr schwaches Licht über die Santa Maria. Die meisten Männer an Bord schliefen. Nur zwei Matrosen waren zur Nachtwache eingeteilt. Sie hockten auf dem Achterdeck unter der Laterne und vertrieben sich die Zeit mit einem Würfelspiel. Den schmalen Jungen, der sich hinter dem Großmast versteckte, bemerkten sie nicht.
    »Kann ich mitspielen?«, fragte Ramon, als er über die Leiter auf das Achterdeck gestiegen war.
    »Was machst du denn hier?«, fragte Pablo, einer der beiden Matrosen.
    »Du solltest besser schlafen«, sagte der andere.
    »Ich kann nicht schlafen«, sagte Ramon. »Bin so aufgeregt. Weil es morgen nach Zipangu geht.«
    »Das wird noch ein paar Tage dauern, bis wir da sind«, sagte Pablo. »Von mir aus kann er mitspielen. Was meinst du, Sanchez?«
    Der andere nickte. »Setz dich zu uns!«
    Ramon setzte sich in den Schneidersitz. Mit dem Rücken zum Großmast, sodass er den beiden Matrosen den Blick in Richtung Ladeluke erschwerte. Erleichtert stellte er fest, dass man unter dem Licht der Laterne den Rest des Schiffes sowieso nur schwer erkennen konnte.
    »Also, was spielen wir?«, fragte er und rieb sich die Hände.
    Im selben Moment stieg Luis durch die Luke hinunter in den Laderaum. Es war stockfinster hier. Er musste sich langsam zu den Frischwasserfässern hindurchtasten. Anacano schlief. Als Luis ihn weckte, fuhr er erschreckt zusammen. Luis hielt ihm die Hand auf den Mund und redete beruhigend auf ihn ein. Auch wenn er wusste,
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