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Der Schiffsjunge der Santa Maria

Der Schiffsjunge der Santa Maria

Titel: Der Schiffsjunge der Santa Maria
Autoren: Frank Schwieger
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dass Anacano kein Wort von dem verstand, was er sagte.
    »Ich bin’s«, flüsterte er. »Wir sind Freunde, nicht wahr? Du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde dich losbinden.«
    Es dauerte eine ganze Zeit, bis Luis die Fesseln gelöst hatte. Als Anacano merkte, was Luis tat, beruhigte er sich.
    »Jetzt komm mit«, sagte Luis, nahm Anacanos Hand und zog ihn auf die Beine. »Wir gehen an Deck. Und dann   …«
    Heiliger Jakob! Luis durchfuhr es eiskalt. Daran hab ich ja gar nicht gedacht. Was ist, wenn er nicht schwimmen kann?
    Luis blieb stehen und atmete tief durch. Der MUSS schwimmen können, dachte er. Der lebt doch auf einer Insel.
    Luis gab sich einen Ruck. Vorsichtig tastete er sich in der Dunkelheit weiter, Anacano in seinem Schlepptau.
    Heiliger Nikolaus, flehte er im Stillen, du Beschützer aller Seeleute. Lass diesen Jungen schwimmen können! Und falls er es noch nicht kann, dann bring es ihm bitte bei. Und zwar jetzt und sofort!
    Luis betete immer noch, als er mit Anacano durch die Luke hinauf aufs Deck und an die Bordwand schlich. Auf den Planken schliefen und schnarchtenetliche Matrosen. Ich bin doch total verrückt, dachte er. Das KANN nicht gut gehen! Er hörte die Stimmen von Sanchez, Pablo und Ramon, die bei ihrem Würfelspiel offenbar großen Spaß hatten. Er stellte sich mit Anacano an die Bordwand, zeigte aufs Wasser und machte mit den Armen Schwimmbewegungen.
    »Kannst du schwimmen?«, flüsterte er und ruderte dabei durch die Luft. »Schwimmen? Durch das Wasser?«
    Anacano schien verstanden zu haben. Jedenfalls nickte er.
    »Gut«, sagte Luis. Hab vielen Dank, Heiliger Nikolaus, dachte er.
    »Da drüben ist eine Insel. Siehst du sie?«
    Das Ufer war nicht weit entfernt, vielleicht eine halbe Meile. Wenn Anacano tatsächlich schwimmen konnte, würde er es ohne Probleme erreichen. Die See war ruhig in dieser Nacht.
    Anacano nickte erneut, als Luis auf den Strand der Insel zeigte.
    »Ich hab keine Ahnung, wie sie in eurer Sprache heißt. Unser Admiral hat sie Isabella genannt, nach unserer Königin. Aber dort findest du bestimmt Leute, die dich nach Hause bringen können. Miteinem Boot. Nach Guanahaní.« Anacano nickte erneut.
    »Nach Hause, verstehst du?«
    »Guanahaní. Nach Hause«, wiederholte Anacano. Es waren die ersten Worte, die er seit Tagen gesprochen hatte.
    »Nach Hause«, sagte er noch einmal. Dann nahm er den goldenen Ring aus seinem Ohr und gab ihn Luis. »Freunde«, sagte er und umarmte Luis fest. Er kletterte über die Bordwand und ließ sich beinahe geräuschlos ins Wasser gleiten. Schon nach wenigen Augenblicken verlor Luis ihn aus den Augen. Mit ruhigen Zügen schwamm Anacano in Richtung Insel.
    Niemand an Bord schien irgendetwas bemerkt zu haben. Oder doch?
    »Du Lump! Das darf doch nicht wahr sein!«
    Das war Pablos Stimme. Luis zuckte zusammen.
    »Kommst hier mitten in der Nacht an und gewinnst ein Spiel nach dem anderen. Was soll man denn davon halten?«
    Luis atmete erleichtert aus.
    »Ich habe doch nur Glück«, sagte Ramon. »Wollen wir noch ein Spiel spielen?«
    »Von mir aus«, sagte Sanchez, der hörbar schlechteLaune bekommen hatte. »Aber beim nächsten Mal wirst du nicht so viel Glück haben.«
    »Bestimmt nicht«, sagte Ramon. »Wir hatten schon genug Glück heute Nacht.«
    »Wen meinst du mit
wir
?«, fragte Pablo.
    »Ach, das war nur ein Versprecher«, sagte Ramon. Luis konnte das Lächeln auf dem Gesicht seines Freundes beinahe hören.

Ein Weihnachtsgeschenk
    Kolumbus war außer sich vor Wut, als er am nächsten Morgen von Anacanos Flucht erfuhr. Am meisten darunter zu leiden hatte der alte Diego, der dem Indiojungen wenige Stunden am Abend zuvor die Fesseln neu gebunden hatte. Der Admiral stauchte ihn auf offenem Deck vor aller Augen zusammen und kündigte ihm obendrein noch eine Soldkürzung an. Luis hatte Mühe, Mitleid für Diego zu empfinden. Als allerdings Pablo und Sanchez ihr Donnerwetter bekamen, taten sie ihm schon etwas leid.
    Gegen Mittag kam Jacomo in die Ruderkammer, um Luis abzulösen. Das fröhliche Grinsen auf Luis’ Gesicht konnte ihm dabei nicht entgehen.
    »Diese Indiojunge«, flüsterte er so leise, dass Peralonso es nicht hören konnte, »diese Anacano isse nicht geflieht ohne Hilfe, nicht wahr?«
    Luis’ Grinsen wurde noch breiter. »Was du immer so denkst«, sagte er scheinbar entrüstet. »Was kann ich denn dafür, wenn der blöde Diego ihn nicht richtig festgebunden hat?«
    Mittags löste ihn Polifemo an der Ampolleta
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