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Der Schiffsjunge der Santa Maria

Der Schiffsjunge der Santa Maria

Titel: Der Schiffsjunge der Santa Maria
Autoren: Frank Schwieger
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die anderen Entdecker blieben regungslos stehen, als die Indios sie erreichten. Sie waren aufgeregt, sprachen in einer fremden Sprache miteinander   – und fingen an, die Ankömmlinge eingehend zu betrachten und zu berühren: ihre Kleidung, ihre helle Haut, ihr Haar und vor allemihre Bärte. Ein besonders neugieriger Mann befühlte Luis’ schmutziges Hemd. Kennen die etwa keine Kleidung?, fragte sich Luis, während er den Indio geduldig sein Hemd betasten ließ. Dabei bemerkte er, dass der Mann keinerlei Bartstoppeln hatte.
    Allmählich löste sich die Anspannung auf beiden Seiten. Die Indios befühlten kichernd die Bärte der Spanier. »Du wohl noch nix gesehe Bart«, sagte Jacomo, als ein Indiojunge immer wieder über Jacomos stoppelige Wangen strich. Luis musste grinsen. Er war froh, dass er noch keinen Bart hatte und die Indios sein Gesicht in Ruhe ließen.
    Der Steuermann Peralonso holte bunte Glasperlen und kleine Messingglöckchen aus seinen Taschen und beschenkte damit die Eingeborenen, die sich darüber riesig freuten. Einer befühlte neugierig ein Schwert, das ein Matrose der Niña am Gürtel trug. Im nächsten Augenblick sprang er zurück und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die blutige Hand.
    »Die kennen so was gar nicht«, sagte Luis zu Jacomo. »Ich meine die Schwerter.«
    Der Indio hatte inzwischen genug von Luis’ Hemd und war zu Polifemo gegangen, um sich dessen Augenklappe näher anzuschauen.
    Jetzt trat ein Junge zu Luis, der etwa in seinem Alter war. Er hatte ein fröhliches, bunt bemaltes Gesicht und pechschwarze Augen. Im rechten Ohr trug er einen goldenen Ring. Er zeigte immer wieder auf die Schiffe, die in der Bucht vor Anker lagen. Schnell wurde Luis klar, dass der Junge so etwas noch nie gesehen hatte.
    Die beiden versuchten sich mit Händen und Füßen zu verständigen. Der Indiojunge hieß Anacano, so viel konnte Luis bald verstehen. Und dass die Insel Guanahaní hieß. Wie groß sie war, wie viele Menschen dort lebten, ob es einen König gab, ob sie zu Indien oder einem anderen Land gehörte, ob hier Gold oder Edelsteine zu finden waren   – all das konnte Luis nicht herausfinden.
    »Ich versteh ihn nicht«, sagte Ramon, der inzwischen zu Luis und Anacano gekommen war. Anacano zeigte immer wieder auf den Waldrand und redete in seiner Sprache auf sie ein.
    »Ich glaube, wir sollen ihm folgen«, sagte Luis.
    Anacano nickte und lachte, als Ramon und Luis ihm über den Strand nachgingen. Er führte sie durch ein Stückchen Wald hindurch in sein Dorf, das nur aus wenigen, ganz einfachen Hütten bestand. Sie sahen aus wie spitze Kegel. Ihre Seiten waren mitSchilfmatten verkleidet, die hohen Dächer mit Palmblättern gedeckt.
    Anacano strahlte, als er seine Gäste von der anderen Seite des Ozeans zu der Hütte seiner Familie geleitete. Die wenigen Bewohner, die hiergeblieben waren, schauten die beiden Jungen mit großen Augen an, als kämen sie direkt aus dem Himmel.
    In der Mitte der Hütte befand sich ein langer Pfahl, der das hohe Dach trug.
    »Was ist denn das?«, fragte Ramon erstaunt. »So was hab ich ja noch nie gesehen!«
    In der Hütte hingen vier Bastmatten. Ihre beiden Enden waren an der Außenwand und an dem Pfahl in der Mitte befestigt. In einer dieser Matten schlief ein Baby. Anacano trat an die Matte heran und zeigte auf den Säugling. Es war ein Mädchen und musste Anacanos Schwester sein, wenn Luis und Ramon ihn richtig verstanden. Seine Eltern waren wohl noch am Strand bei den anderen.
    »Das sieht sehr gemütlich aus«, sagte Luis. »So eine Matte hätte ich auch gerne auf der Santa Maria. Ist bestimmt bequemer als die harten Planken.«
    Anacano bedeutete ihnen, sich auf den Boden zu setzen. Dann verschwand er plötzlich nach draußen. Ramon und Luis schauten sich verwundert an. Washatte Anacano vor? Kurze Zeit später war er wieder da, mit einem flachen Holzteller in den Händen, auf dem sich allerlei Früchte befanden, die Luis und Ramon noch nie zuvor gesehen hatten. Offenbar wollte er sie zum Essen einladen. Da waren knallrote runde Früchte mit einer dünnen, glänzenden Haut.
    »Xitomatl, Xitomatl«, sagte Anacano, nahm eine von ihnen und biss hinein. Sie zerplatzte, der Saft lief ihm über das Kinn. Ramon und Luis taten es ihm nach und fanden, dass diese Xitomatl sehr lecker schmeckten.
    Dann gab es einen großen Kolben, so lang wie der Unterarm eines Kindes. An ihm hingen dicht an dicht gelbe Körner. Anacano nahm einen der Kolben und fing an, die gelben
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