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Der Schiffsjunge der Santa Maria

Der Schiffsjunge der Santa Maria

Titel: Der Schiffsjunge der Santa Maria
Autoren: Frank Schwieger
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bauten sich mit verschränkten Armen vor der Tür auf. Der schmale Luis stellte sich zwischen die beiden Männer. Ihnen gegenüber hatten sich sechs oder sieben Matrosen versammelt. Nicht so viele, wie Luis befürchtet hatte. Aber wirklich erleichtert war er darüber nicht.
    »Was wollt ihr?«, knurrte Polifemo entschlossen. Luis hoffte, dass die kräftige Stimme des Einäugigen eine ähnliche Wirkung auf die Meuterer haben würde wie auf ihn.
    »Wir wollen«, der alte Diego schob sich nach vorn und grinste verschlagen, »wir wollen nur einen kleinen Spaziergang machen.«
    »Mitten in der Nacht?«, fragte der breitschultrige Peralonso und ließ seine Finger knacken. »Auf diesem kleinen Schiff? Wollt ihr euch nicht besser schlafen legen?«
    Der dürre Fernando stellte sich neben Diego. »Ich finde, dass
ihr
euch besser schlafen legt. Was wir vorhaben, geht euch nichts an.«
    »Das geht uns sehr wohl etwas an!«, rief Luis. »Ihr wollt Don Christoph ins Meer werfen, unseren Kapitän und den Admiral dieser Flotte. Das ist ein Verbrechen!«
    Das Blut schoss Luis ins Gesicht. Er spürte, wie es in ihm brodelte. Und wie ihn eine kräftige Hand an der Schulter packte.
    »Ha«, lachte Diego. »Und du kleiner Hering willst uns daran hindern, was?«
    »Nicht nur er allein«, sagte Polifemo mit bedrohlich leiser Stimme. »Wir sind immerhin zu dritt.«
    »Zu viert!«, rief Jacomo. Wie aus dem Nichts aufgetaucht, stellte er sich neben den Steuermann.
    »Kannst du nicht zählen?«, rief Ramon. »Zu fünft sind wir!« Er stellte sich neben Polifemo. Luis trauteseinen Augen nicht. Was war denn in den gefahren? »Ich will nach Indien«, sagte Ramon. »Genau wie der Admiral. Und das werdet ihr nicht verhindern.«
    Die lauten Stimmen hatten das Schiff geweckt. Immer mehr Männer versammelten sich auf dem Deck. Und immer mehr stellten sich vor die Tür des Admirals und gegen die Meuterer, die bald einsehen mussten, dass sie in der Unterzahl waren. Drei oder vier von ihnen lösten sich aus dem Pulk und verkrümelten sich irgendwo auf dem Schiff. Schließlich waren nur noch Fernando und Diego übrig und schauten reichlich belämmert aus der Wäsche.
    »WAS IST DAS FÜR EIN LÄRM?«
    Die Kajütentür wurde aufgerissen und Kolumbus stand im Türrahmen: im weißen Schlafhemd und mit reichlich zersausten grauen Haaren.
    »Diese Männer hier«, Polifemo zeigte auf Diego und Fernando, »wollten nur einen kleinen Spaziergang machen. Falls sie Euch gestört haben sollten, tut es ihnen leid, nicht wahr?«
    Diego und Fernando nickten betreten.
    »Und jetzt gehen sie ganz schnell wieder schlafen, nicht wahr?«
    Diego und Fernando nickten erneut.
    »Nun denn«, sagte Kolumbus. »Nur ein Spaziergang,was?« Er schaute die vielen Männer an, die sich vor seiner Tür aufgebaut hatten. Die Männer und die beiden Jungen. »Ich danke euch von ganzem Herzen. Und ich verspreche euch, dass wir bald in Indien sein werden. Vertraut mir: In wenigen Tagen sind wir da.«

Land in Sicht
    Einige weitere Tage vergingen. Der Wind hatte aufgefrischt, sie kamen gut voran. Die Meuterer hatten zähneknirschend eingesehen, dass sie keine Chance hatten. Vorerst jedenfalls. Immer häufiger überflogen jetzt große Schwärme von Vögeln die drei Schiffe, alle in Richtung Westen. Unter den Männern wuchs die Unruhe und eine große Erwartung machte sich breit. Niemand wusste es, aber jeder spürte, dass das Ziel der Reise nun doch zum Greifen nah sein musste.
     
    Es war der 11.   Oktober. Am späten Nachmittag hatte ein Matrose einen Zweig am Schiff vorbeitreiben sehen, einen frischen Zweig, an dem grüne Blätter und kleine rote Früchte hingen, die aussahen wie Hagebutten. Die drei Schiffe segelten jetzt um die Wette. Mit großer Kraft schob der Passat die Santa Maria, die Niña und die Pinta durch die Wellen. In dieser Nacht konnte keiner der neunzig Seeleute ein Auge zumachen.
    Luis und Jacomo standen zusammen mit einem guten Dutzend anderer Männer auf dem Vorderdeck und blickten in der sternenklaren Nacht unentwegt in Richtung Westen. Es war kurz vor zwei Uhr. Luis ärgerte sich. Gleich musste er Polifemo an der Ampolleta ablösen. Ausgerechnet heute Nacht!
    »Sag mal«, fragte Luis Jacomo. »Was ist eigentlich los mit Polifemo? Warum ist er so, wie er ist, ich meine, so unheimlich?« Das war schon seltsam. Luis musste immer wieder an den Einäugigen denken. Er konnte sich nicht erklären, warum.
    »Hmmm.«
    »Hörst du mir überhaupt zu?«
    »Wie? Was?« Jacomo fuhr
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