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Der Schiffsjunge der Santa Maria

Der Schiffsjunge der Santa Maria

Titel: Der Schiffsjunge der Santa Maria
Autoren: Frank Schwieger
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Luis’ Brust glitzerte das silberne Kruzifix, das an einem Lederband um seinen Hals hing.
    Er blickte auf die schmerzende Stelle an seiner Seite. »Das war Ramons Ellenbogen. Gestern Abend, als ich an ihm vorbeimusste und keiner hinguckte.«
    Jacomo murmelte irgendetwas auf Italienisch. Luis konnte sich denken, dass es keine allzu freundlichen Worte waren.
    »Er isse immer noch bose auf dich?«
    »Wie’s aussieht, schon. Aber solange er mich nicht über Bord schubst, kann ich damit leben.«
    »Er nicht wissen, dass du nicht konnen schwimmen?«
    Luis zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Ist mir auch egal. Guck mal, schon wieder dieses komische Gras!«
    Luis zeigte in Richtung Bug, wo sich tatsächlich in einiger Entfernung ein gewaltiger grüner Teppich auf dem Wasser ausbreitete. Die Santa Maria hielt direkt auf ihn zu. In den Tagen zuvor hatten sie solche Grasteppiche immer wieder gesehen. Kolumbus war fest davon überzeugt, dass dieses Gras ein sicheres Zeichen dafür sei, dass Land in der Nähe sein musste, vielleicht eine Insel, vielleicht sogar schon Indien.
    Ein paar Tage zuvor, als der Passat einmal schwächer geblasen hatte, war ein Matrose der Pinta von Bord gesprungen, direkt in den Grasteppich hinein. Er hatte einige Büschel mit an Bord gebracht   – und darin hatte sich ein lebender Krebs befunden! Diese Nachricht hatte sich auf allen drei Schiffen in Windeseile herumgesprochen. Der Admiral meinte, dies könne nur bedeuten, dass das Land nicht mehr weitsei, denn Krebse fände man nicht weiter als achtzig Meilen vom Ufer entfernt. Einige Männer glaubten ihm und freuten sich, die meisten hatten jedoch Zweifel.
    »Pfff!«, machte Jacomo. »Gras konnen mir rutschen runter die Buckel. Ich will Land. Oder wenigstens eine fette Thunfisch.« Er schaute missmutig auf seine Angel, mit der er heute noch keinen Fisch gefangen hatte.
    Luis grinste. Er stellte sich gerade das klebrige Meergras auf Jacomos Rücken vor, als ein lauter Schrei das lustige Bild in seinem Kopf vertrieb.
    »ADMIRAL! DON CHRISTOPH! SEHT DOCH!«
    Das war der Mann im Ausguck. Luis und Jacomo blickten zu ihm hinauf. Was hatte er gesehen? Der Mann gestikulierte wild und zeigte auf die Rahe am Fockmast. Dort hatten sich zwei große Vögel niedergelassen. Die Schwungfedern ihrer Flügel waren schwarz, ansonsten waren sie weiß gefiedert. Sie hatten einen gekrümmten Hals und einen ganz merkwürdigen, langen Schnabel. Was war denn das? Luis wischte sich mit der Hand über die Augen. An der Unterseite des Schnabels hing eine Art rosa Beutel und schlackerte im Wind.
    »Was sind das für komische Vögel?«, fragte Luis.
    »Ich noch nie gesehen«, sagte Jacomo. »Vielleicht Vogel aus Indien?«
    »Bestimmt«, sagte Luis. »Oder aus Zipangu.«
    »Oder aus Afrika«, sagte Polifemo, der unbemerkt zu ihnen gekommen war. »Es sind Seevögel. Man nennt sie Pelikane.«
    »Und diese Beutel an die Schnabel?«, fragte Jacomo, der seinen Blick nicht von den großen Vögeln losreißen konnte.
    »Sie benutzen ihn zum Fischfang«, sagte Polifemo. »Sie durchsieben damit das Wasser. Und die Fische, die hängen bleiben, schlucken sie herunter.«
    »Vogel bedeuten, dass Land isse nicht weit?«
    Polifemo schnaufte. »Wer weiß das schon? Pelikane können sehr weit fliegen, viele Hundert Meilen, ohne ihre Füße auf den Boden setzen zu müssen.«
    Luis holte die Angelschnüre ein und zog sein Hemd wieder an. Polifemos Gegenwart war ihm immer noch unangenehm, obwohl ihm der Einäugige das Leben gerettet hatte.
    »Ich geh hinauf zur Ampolleta. Meine Schicht beginnt doch jetzt, oder?«
    Polifemo nickte. »Ich habe sie eben umgedreht. Du hast noch etwas Zeit.«
    Luis hatte das Gefühl, dass Polifemos Blick ihn durchbohrte. Er atmete erleichtert aus, als der Einäugige sich wortlos abwandte und in Richtung Bug verschwand.
    »Du Polifemo nicht mogen, was?«, fragte Jacomo, der ebenfalls seine Angel einholte.
    »Nee«, sagte Luis. »Ich weiß auch nicht so recht, warum. Es ist vor allem diese Stimme   … Und dieser Blick!«
    »Er nicht konnen gut gucken.«
    »Ja, ich weiß, er hat ja nur ein Auge.«
    »Nein, auch mit die heile Auge er nicht konnen gut gucken. Vielleicht isse darum sein Blick so, wie heißt, so seltsam.«
    »Mag sein.« Luis zuckte mit den Schultern. »Ich fühle mich jedenfalls immer wie aufgespießt, wenn er mich anschaut. Und dieser Name. Polifemo. Klingt irgendwie gruselig.«
    Jacomo nickte.
    »Ja, so heiße ein Riese in eine Geschichte,
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