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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler
Autoren: Monika Feth
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oder brachte den Müll nach draußen. Ein Lieferwagen fuhr vorbei, jetzt, wo ich ihn nicht mehr brauchte, wo der Edeka-Laden schon in Sichtweite war.
    Ich beschleunigte das Tempo. Stieß die Ladentür auf. Wich einem Einkaufswagen aus. Nahm die Gerüche und Geräusche wahr wie etwas, das zu einer anderen Welt gehörte.
    »Darf ich bitte …« Ich rang nach Luft. »… telefonieren?«
    »Moment.«
    Die Kassiererin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie zog eine Tüte Nudeln über den Scanner, eine Tube Tomatenmark, eine Tüte mit Äpfeln. Der Piepton, der jedes Mal ertönte, zerrte an meinen Nerven. Die Kundin, die gerade an der Reihe war, bedachte mich mit einem vernichtenden Blick und wandte sich dann ab. Mit Vordränglern machte man hier kurzen Prozess. Die ließ man einfach stehen.
    »Bitte! Das ist ein Notfall! Ich muss die Polizei anrufen!«
    Endlich drehte die Kassiererin sich nach mir um. Ich musste einen schrecklichen Anblick bieten. Ihre Augen verrieten es mir. Sie betrachtete mich von oben bis unten, stellte keine Fragen, nestelte in ihrer Kitteltasche nach einem Handy und hielt es mir hin.
    Da lag es in meiner Hand. Klein. Schwarz. Und es konnte uns das Leben retten. Ich verschluckte mich an meiner Aufregung und bekam einen Hustenanfall. Kostbare Sekunden gingen verloren.
    Die Nummer des Kommissars fiel mir nicht ein. In meinem Kopf war nichts als Angst. Aber der Kommissar konnte uns sowieso nicht helfen. Er war vierhundert Kilometer von hier entfernt. Meine Hände zitterten so heftig, dass ich die Tasten nicht drücken konnte.
    Die Kassiererin nahm mir das Handy ab.
    »Die Polizei?«
    Ich nickte.
    Sie wählte für mich und gab mir das Handy zurück.
    Die Stimme, die sich meldete, klang ein bisschen müde und ein bisschen gelangweilt. Ich hätte gern Zeit gehabt, um meine Worte mit Bedacht zu wählen, aber ich hatte keine Zeit, und so klang das, was ich zu sagen hatte, wie ein Auszug aus einem Buch meiner Mutter. An der Kasse bildete sich allmählich eine Schlange und alle hörten zu.
    »Langsam«, sagte der Polizeibeamte. »Zuerst mal Ihren Name, bitte.«
    »Jette Weingärtner.«
    »Und wie heißen Ihre Freundinnen?«
    Da konnte ich ja gleich ein Formular ausfüllen. Mein Blick fiel auf die große Uhr an der Wand. Hoffentlich ging sie vor!
    »Hören Sie. Ich muss zurück. Er hat mir fünfundvierzig Minuten gegeben. Wenn ich mich verspäte, wird er meine Freundin …«
    »Nun beruhigen Sie sich doch erst einmal.«
    »Ich will mich nicht beruhigen!« Meine Stimme schnellte eine Oktave höher. »Rufen Sie Hauptkommissar Bert Melzig an. Der wird Ihnen alles …«
    »Welches Kommissariat?«
    Ich sagte es ihm und beschrieb nochmals die Lage des Ferienhauses. Dann gab ich das Handy zurück. Ich kramte Bens Zettel hervor und erledigte im Laufschritt die Einkäufe. An der Kasse machten die Leute mir schweigend Platz. Sie hielten vorsichtig Abstand. Als hätte der Kontakt mit einem Verbrechen mich unberührbar gemacht.
    »Lass mal, Mädchen«, sagte die Kassiererin, als ich die Ware auf das Band legen wollte. »Sieh zu, dass du loskommst.«
    Sie half mir, die Sachen in dem Leinenbeutel zu verstauen.
    »Viel Glück!«, rief sie mir hinterher.
    Glück. Das hatten wir dringend nötig. Ich hatte getan, was in meiner Macht stand. Nun konnten wir nur noch hoffen.
    Es brannte und pochte in meinem Knöchel. Die Tragegriffe des schweren Einkaufsbeutels schnitten mir in die Hand. Ich konzentrierte mich auf meine Schritte und lief und lief.
     
    So einsam gelegen, dass man die Stille hören kann.
    »Und die Nachbarn?«, fragte Bert scheinheilig. »Sind sie nett?«
    Frau Sternberg, von seiner Frage aus ihren Erinnerungen gerissen, runzelte nachdenklich die Stirn.
    »Es gibt keine Nachbarn. Nur Wiesen, Weiden und Felder.«
    Bert versuchte, sich die Erregung nicht anmerken zu lassen. Eine Frage zu viel oder auch nur ein übereiltes Wort, und die alte Dame würde wieder in die Welt hinübergleiten, zu der er keinen Zugang hatte.
    Sie war in den Anblick des Fotos versunken. Ein Ausdruck von Wehmut lag auf ihrem Gesicht.
    »Aber es gibt einen Ort in der Nähe«, tastete Bert sich behutsam vor.
    Verwundert hob sie den Kopf.
    »Ja?«
    Guter Gott. Ihr Gedächtnis würde sie doch nicht ausgerechnet jetzt im Stich lassen!
    »Mit einem kleinen Laden«, fabulierte er, »in dem man alles kaufen kann, was man zum Leben …«
    Sie unterbrach ihn, hatte ihm gar nicht zugehört.
    »Ich bin lange nicht mehr dort gewesen.«
    Bert beugte sich
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