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Der Schatten von Thot

Der Schatten von Thot

Titel: Der Schatten von Thot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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römischen Cäsaren vor Neid hätte erblassen lassen.«
    »Strahlend, in der Tat«, gab Sarah widerstrebend zu. »Doch wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten…«
    Das Hansom Cab hatte inzwischen Charing Cross erreicht, den pulsierenden Mittelpunkt Londons. Mit dem Glockenschlag von St. Martin in the Fields war die Stadt vollends zu morgendlichem Leben erwacht, und aus den noblen Vierteln im Westen drängten die vornehmen Kutschen, die wohlhabende Gentlemen in ihre Clubs entlang der Pall Mall brachten, ins Regierungsviertel oder zum Temple Bar, wo die Anwälte ihre Kanzleien unterhielten. Prunkvolle Stadthäuser, mit den düsteren Backsteinbauten Clerkenwells nicht zu vergleichen, umrahmten den Trafalgar Square; gewichtig aussehende Männer waren auf dem Weg zum Royal Stock Exchange, und allenthalben tauchten fliegende Händler mit ihren Karren auf – Schuhputzer, Staubmänner und Kuchenverkäufer –, die darauf warteten, dass auch für sie etwas vom Reichtum der pulsierenden Stadt abfiel.
    London schien ein perfekt organisierter Mechanismus zu sein, eine geölte Maschinerie, innerhalb derer nichts verloren geht. Was die einen wegwarfen, das diente den anderen zum Überleben, und plötzlich wusste Sarah wieder, weshalb sie diese Stadt mit ihrem tief verwurzelten Pragmatismus so hasste. Auch ihr Vater hatte London nicht gemocht und sich nicht von ungefähr in die Einsamkeit Yorkshires zurückgezogen. Für einen Augenblick wünschte sich Sarah, den Bitten ihres Paten nicht nachgegeben zu haben. Die große Stadt erschlug sie mit ihrem Treiben und ihrem Lärm, mit den verschiedensten Gerüchen und mit dem Rauch, der aus unzähligen Kaminen quoll. Warum nur hatte sie ihrer Neugier nachgegeben? Was, in aller Welt, hatte sie hier verloren?
    Es war zu spät, um sich noch anders zu besinnen – soeben bog das Cab in die Whitehall ein und passierte das Gebäude der Admiralität. Am Whitehall Place No. 4 verlangsamte die Kutsche ihre Fahrt. Sie fuhr durch ein hohes Tor auf den Hof eines schmalen Backsteingebäudes, dessen hohe Giebel und weiß gestrichene Fenster Autorität ausstrahlten. Noch nie zuvor war Sarah Kincaid hier gewesen, aber natürlich kannte sie die Adresse.
    Dies war der Sitz von Scotland Yard.
    »Überrascht?«, erkundigte sich Laydon, als die Kutsche endlich zum Stehen kam.
    »Ein wenig«, gab Sarah zu, während der Kutscher ihr beim Aussteigen half. »Ich hatte angenommen, dass die Fahrt in die St. James Street führen würde, wo die Königin ihre Gäste zu empfangen pflegt.«
    »Ihre Majestät ist mit wichtigen Aufgaben befasst, mein Kind. Sie wird keine Zeit haben, dich zu empfangen.«
    »Nein? Aber sagtest du nicht, sie hätte um meine Hilfe ersucht?«
    »Allerdings – durch ihren persönlichen Q. C. { * } Sir Jeffrey Hull. Er erwartet uns in diesem Gebäude.«
    »Wir werden bereits erwartet?«
    »Allerdings, mein Kind. Das sollte dir Aufschluss darüber geben, wie dringlich die Mission ist, auf der du dich befindest.«
    »Welche Mission denn?« Sarah lachte freudlos. »Du beliebst zu scherzen, Onkel – ich weiß ja noch nicht einmal, weshalb ich eigentlich hier bin.«
    »Nur noch einen Augenblick Geduld, du wirst es gleich erfahren.« Erneut setzte der Doktor sein freundliches, aber undeutbares Lächeln auf.
    Ein Polizist in dunkelblauem Uniformmantel trat ihnen entgegen, als sie sich dem Eingang näherten, und nachdem Laydon in seinen Gehrock gegriffen und dem Constable ein Schreiben ausgehändigt hatte, deutete dieser eine Verbeugung an und bat sie, ihm ins Gebäude zu folgen.
    Durch eine weite Galerie und eine Anzahl endlos scheinender Korridore, in denen der strenge Geruch von frischem Bohnerwachs hing und deren dunkle Eichentüren allesamt verschlossen waren, führte der Polizist Sarah und Laydon in eine der oberen Etagen des Gebäudes. Vor einer Tür, die sich in nichts von den anderen unterschied, machte er Halt und klopfte an. Für einen kurzen Moment verschwand er im Inneren, um dann sofort wieder zurückzukehren.
    »Die Herren lassen bitten«, murmelte er wie ein beflissener Hausdiener und zog sich dann zurück, während die Besucher den Raum betraten. Es war ein nüchtern eingerichtetes Büro, dessen einziges Fenster auf jenen Hof blickte, der dem Gebäude seinen Namen gegeben hatte. Auf dem großen Eichenholzschreibtisch davor stapelten sich Aktenmappen, Unterlagen und Photographien. Die Wände des Zimmers waren in stumpfem Grün gehalten; auf der einen Seite des Raumes stand eine

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