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Der Schatten im Norden

Der Schatten im Norden

Titel: Der Schatten im Norden
Autoren: Philip Pullman
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bin hierher
gekommen, um das Geld zu holen, das ich für meine
Klientin gefordert habe. Bei unserem ersten Treffen habe
ich Ihnen gesagt, dass ich es bekommen werde, und nun
habe ich es. Ich und Sie heiraten --- ha! Wie konnten Sie
nur glauben, Sie wären so viel wert? Es gab nur einen
Mann, den ich heiraten wollte, und den haben Sie
umgebracht. Und ---«
Bei der Erinnerung an Frederick wurde es ihr eng in der
Brust, sie konnte sich gegen die Tränen nicht mehr
wehren. Bellmanns Bild verschwamm vor ihren Augen,
während Frederick ihr wieder ganz nah zu sein schien.
»Habe ich gut gesprochen, Fred?«, flüsterte sie. »Habe
ich es gut gemacht? Ich komme jetzt zu dir, Liebling ---«
Dann richtete sie den Lauf auf die Munitionsgürtel und
drückte ab.
Jim hielt sich mit einer Hand am Zaun fest und stützte
sich mit der anderen auf Mackinnons Schulter, als die
erste Explosion zu hören war. Sie gingen um die
Umzäunung herum, da der Wachmann sich weigerte, aus
seinem Wachhäuschen zu kommen. Es goss immer noch
in Strömen.
Das Erste, was sie hörten, war ein gedämpftes Krachen
wie ferner Donner. Dann folgte ein zweiter und noch ein
dritter Knall, und während sie durch den Regenvorhang
zu schauen versuchten, sahen sie zu ihrer Linken
plötzlich Feuerschein und Flammen aus dem
zerborstenen Tor einer abseits liegenden Halle kommen.
Gleich darauf läuteten Alarmglocken. Aus dem nächsten
erleuchteten Gebäude liefen Männer nach draußen, zogen
sich aber rasch wieder zurück, als eine Serie neuer,
kleinerer Explosionen den beiden ersten folgte. »Sie hat
es tatsächlich getan«, sagte Jim. »Sie hat Feuer an die
Lunte gesetzt. Ich wusste, dass sie irgendetwas
Verrücktes vorhatte --- oh, Sally, Sally... «
Die Halle, in der das Dampfmaschinengewehr montiert
wurde, stand beängstigend schief. Man sah es jetzt im
Licht der Laternen und im Schein der Flammen, die um
das Tor tanzten. Aus den Schreien der nun von allen
Seiten herbeiströmenden Arbeiter konnte Jim so viel
entnehmen, dass die Männer weitere Explosionen
befürchteten. Die Luft war vom Lärm der Glocken
erfüllt, und eine Sirene stimmte mitten im allgemeinen
Getöse ihr dämonisches Geheul an. Jim rüttelte an
Mackinnons Schulter.
»Los, sie machen das Tor auf. Wir finden Sie,
Mackinnon, wir holen sie da raus -«
Dann hinkte er wie ein Kobold zurück zum Tor.
Mackinnon wankte, vor Angst stöhnend, nahm sich dann
aber zusammen und folgte ihm.
Die drei folgenden Stunden galten dramatischen
Rettungsbemühungen. Niedergestürzte Balken,
verbogene Eisenträger und zerbrochene Ziegeln wurden
beiseite geräumt. Hände verbrannten sich an brennendem
Holz, schürften sich an Stein und Mörtel auf.
Dazwischen gab es immer wieder Zeichen der Hoffnung,
aber auch die Last der Verzweiflung nahm zu.
Die Feuerwehr war sogleich alamiert worden, und
zusammen mit der Werksrettungsmannschaft hatte man
den Hauptbrandherd ziemlich rasch unter Kontrolle.
Offenbar hatte die Explosion der ersten Maschine nicht
nur die gesamte Munition an Bord des Wagens
vernichtet, sondern auch den neben dem Wagen zum
Verstauen bereitgestellten Vorrat. Die Maschine selbst
war nicht wieder zu erkennen; auch die zweite, noch im
Bau befindliche Maschine wies irreparable Schäden auf,
weil der schwere Kran neben ihr auf sie gefallen war.
Wie durch ein Wunder standen die Wände des
Gebäudes noch, aber Teile des Daches waren eingestürzt.
Eben an dieser Stelle konzentrierten die
Rettungsmannschaften ihre Suche. Die Männer bildeten
eine Kette und trugen Stücke vom Mauerwerk ab. Sie
hoben schwere Balken vorsichtig zur Seite, damit der
Schuttberg nicht in sich zusammenstürzte.
Mackinnon arbeitete mit Feuereifer an Jims Seite. Etwas
von Jims dämonischer Energie musste auf ihn
übergegangen sein, denn er arbeitete weiter trotz
Schmerzen, Erschöpfung und Gefahr. Jim schaute ein
paar Mal zu ihm hinüber und nickte grimmig, so, als sei
ihm Mackinnon nach dieser Feuerprobe nun ebenbürtig.
Der Regen begann nachzulassen, als sie Sally schließlich
unter einer Ecke des eingestürzten Daches fanden.
Einer der Arbeiter rief laut und winkte die anderen
herbei. Er zeigte auf eine Stelle, wo sie noch nicht
gesucht hatten. Binnen Sekunden versammelte man einen
Trupp Arbeiter, um den Balken zu stützen, der bisher
verhindert hatte, dass eine Partie der Wand einstürzte.
Nach und nach wurden Schutt und Eisen abgetragen und
beiseite geschafft.
Jim kam so nahe wie möglich an Sally heran und reichte
ihr die Hand. Ihr
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