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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers
Autoren: Gene Wolfe
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einzudringen und so etwas zu tun?«
    Vodalus gab keine Antwort; vielmehr blickte die Spitze seines Schwertes von einem zum anderen wie ein Auge.
    Der Anführer krächzte: »Alle zusammen jetzt, und wir haben ihn.« Jedoch rückten sie nur zögernd näher, und bevor sie ihn einschließen konnte, hatte Vodalus einen Satz nach vorne getan. Ich sah seine Klinge im schwachen Licht aufblitzen und hörte sie über die Pikenspitze kratzen – ein metallisches Scheuern, als würde eine stählerne Schlange über eine Eisenplatte gleiten. Der Pikenier sprang brüllend zurück; auch Vodalus stürmte rückwärts (vermutlich befürchtete er, die beiden anderen würden ihm in den Rücken fallen), verlor dann offenbar das Gleichgewicht und stürzte.
    All dies ereignete sich im Dunkeln und Nebel. Ich sah zu, aber die Männer waren größtenteils nur verwischte Schatten – wie es auch die Frau mit dem herzförmigen Gesicht gewesen war. Dennoch war ich davon berührt. Vielleicht war es Vodalus' Bereitschaft, für sie ihr Leben einzusetzen, was mir die Frau kostbar erscheinen ließ; sicherlich war es diese Bereitschaft, die in mir Bewunderung für ihn entfachte. Wenn ich hiernach auf einem wackligen Gerüst in irgendeinem Marktplatz stand, mein Terminus Est auf den Boden gestützt hielt und ein elender Vagabund vor mir kniete, wenn ich das haßerfüllte Flüstern und Zischen der Menge hörte und die viel unliebsamere Bewunderung jener spürte, denen anderer Leute Schmerzen und Tod ein zweideutiges Vergnügen bereiteten, dann besann ich mich oft auf Vodalus im Friedhof, sobald ich mit meinem Schwert zum Schlag ausholte, und redete mir ein, daß es für ihn föchte, wenn es niederführe.
    Wie gesagt, er stolperte. Und in diesem Augenblick bangte ich mit ihm ums Leben.
    Die seitlich einbrechenden Freiwilligen liefen auf ihn zu; allerdings hatte er seine Waffe nicht aus der Hand verloren. Ich sah die glänzende Klinge aufblitzen, obschon der Besitzer noch auf der Erde lag. Mir fällt ein, wie sehr ich Drotte an dem Tag, an dem er zum Lehrlingswart aufgestiegen ist, um sein Schwert beneidet und mich mit Vodalus verglichen habe.
    Der Mann mit der Axt, auf den er eingestochen hatte, wich zurück; der andere stürmte mit einem langen Dolch vor. Ich war inzwischen aufgestanden und beobachtete den Kampf über die Schulter eines Chalcedon-Engels. Der Dolch senkte sich, verfehlte Vodalus, der sich zur Seite rollte, um Daumenbreite und bohrte sich bis zum Heft in den Boden. Vodalus hieb sodann gegen den Anführer, aber die Entfernung war zu kurz für die lange Klinge. Der Anführer floh nicht, sondern ließ seine Waffe los und umklammerte seinen Gegner wie ein Ringkämpfer. Sie befanden sich direkt am Rand des offenen Grabes – vermutlich war Vodalus über die ausgehobene Erde gestrauchelt.
    Der zweite Freiwillige holte mit seiner Streitaxt aus, aber zauderte.
    Sein Führer war ihm am nächsten; also umrundete er das Paar, um ungehindert zuschlagen zu können, bis er weniger als einen Schritt von meinem Versteck entfernt war. Während er noch zielte, bekam Vodalus mit einem Ruck den Dolch frei und rammte ihn dem Anführer in den Hals. Die Axt holte aus; ich packte den Stiel direkt unter der Schneide fast unwillkürlich und fand mich augenblicklich mitten im Kampf wieder, mit dem Fuß tretend, dann um mich schlagend.
    Ganz plötzlich war er vorüber. Der Freiwillige, dessen blutverschmierte Waffe ich festhielt, war tot. Der Anführer der Freiwilligen wand sich zu unseren Füßen am Boden. Der Pikenier war verschwunden; seine Pike lag unschädlich auf dem Weg. Vodalus bückte sich nach seiner schwarzen Scheide im Gras und steckte sein Schwert hinein. »Wer bist du?«
    »Severian. Ich bin ein Folterer. Vielmehr ein Folterlehrling, Herr. Vom Orden der Wahrheitssucher und Büßer.« Ich nahm einen tiefen Atemzug. »Ich bin ein Vodalarius. Einer von abertausend Vodalarii, deren Existenz Euch nicht bewußt ist.« Das war ein Ausdruck, der mir nur flüchtig zu Ohren gekommen war.
    »Hier.« Er drückte mir etwas in die Hand: eine kleine Münze, die so glatt war, daß sie sich wie geölt anfühlte. Am geschändeten Grab stehend, umklammerte ich sie und beobachtete, wie er sich entfernte. Lange bevor er die Anhöhe erreichte, hatte der Nebel ihn verschluckt, und kurz darauf surrte pfeilschnell ein silberner Flieger über mir vorüber.
    Der Dolch steckte nicht mehr im Hals des Toten. Vielleicht hatte er sich ihn im Todeskampf herausgerissen. Als ich mich
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