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Der Schatten des Folterers

Der Schatten des Folterers

Titel: Der Schatten des Folterers
Autoren: Gene Wolfe
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dann ein Zischen, als er seine Waffe schwang. Eine andere Stimme rief: »Was war das?«
    »Jemand ist gegen mich gelaufen. Schon wieder weg, wer immer es gewesen sein mag.«
    Ich lag still.
    Eine Frau befahl: »Die Lampe an!« Ihre Stimme klang wie ein Taubenruf, aber mit einem dringlichen Unterton.
    Der Mann, mit dem ich zusammengestoßen war, erwiderte: »Dann würden sie über uns herfallen wie eine Meute von Bluthunden, Madame.«
    »Das werden sie sowieso bald – Vodalus hat gefeuert. Du mußt es gehört haben.«
    »Wird sie eher zurückscheuchen.«
    Mit einem Tonfall, den ich in meiner Unbedarftheit nicht als den Akzent eines Beglückten erkannte, sagte der Mann, der als erster gerufen hatte: »Wenn ich sie nur nicht mitgebracht hätte. Brauchten sie gar nicht gegen solche Leutchen.« Er war jetzt viel näher, und bald konnte ich den sehr großen, schlanken, barhäuptigen Mann neben dem robusteren Gefährten, gegen den ich gestoßen war, sehen. Eine in Schwarz gehüllte dritte Gestalt war offensichtlich die Frau. Als mir die Luft weggeblieben war, war auch alle Kraft aus meinen Gliedern gewichen, trotzdem hatte ich es geschafft, mich hinter den Sockel eines Denkmals zu rollen, von wo aus ich, in Sicherheit liegend, hervorspähte.
    Meine Augen hatten sich auf die Dunkelheit eingestellt. Ich konnte das herzförmige Gesicht der Frau ausmachen, die fast genauso groß wie der schlanke Mann war, den sie Vodalus genannt hatte. Der starkgebaute Mann war verschwunden, aber ich hörte ihn sagen: »Mehr Seil!« Seiner Stimme entnahm ich, daß er nicht weiter als ein, zwei Schritte von der Stelle entfernt war, wo ich mich niederduckte, dennoch schien er aufgelöst wie in einen Brunnen geschüttetes Wasser. Dann sah ich etwas Dunkles (das mußte die Hutkrone gewesen sein) nahe den Füßen des schlanken Mannes und wußte ganz genau, wo er geblieben war – dort befand sich eine Grube, in der er stand.
    Die Frau fragte: »Wie ist sie?«
    »Frisch wie eine Blume, Madame. Sie riecht fast gar nicht. Alles klar.« Gewandter, als ich es ihm zugetraut hätte, sprang er heraus. »Nun gebt mir ein Ende und nehmt Ihr das andere, Herr, und wir können sie herausziehen wie eine Mohrrübe.«
    Die Frau sagte etwas, was ich nicht verstand, und der schlanke Mann entgegnete ihr: »Du hättest nicht mitkommen müssen, Thea. Wie sähe es aus, wenn ich keines der Risiken auf mich nähme?« Er und sein robuster Gefährte keuchten schwer beim Ziehen, und bald erschien zu ihren Füßen etwas Weißes. Sie bückten sich, um es aufzuheben. Als hätte ein Zauberer ihn mit seinem Stab berührt, wallte der Nebel plötzlich auf und teilte sich, so daß fahles Mondlicht hindurchdrang. Sie hatten eine Frauenleiche. Ihr Haar, das dunkelbraun gewesen war, hing etwas unordentlich um ihr bläuliches Gesicht; bekleidet war sie mit einem langen Gewand aus hellem Stoff.
    »Ihr seht«, begann der Robuste, »'s ist wirklich, wie ich sagte, gnädiger Herr, gnädige Frau; bei neunzehn von zwanzig Malen ist nichts dabei. Wir brauchen sie nur mehr über die Mauer zu schaffen.«
    Kaum waren diese Worte über seine Lippen gekommen, hörte ich Schreie. Drei von den Freiwilligen kamen über den Pfad in den Talgrund. »Haltet sie zurück, Herr!« knurrte der Robuste, wobei er sich den Leichnam über die Schulter legte. »Ich kümmere mich hierum und bringe Madame in Sicherheit.«
    »Nimm du sie!« sagte Vodalus. Die Pistole, die er dem anderen reichte, warf das Licht des Mondes zurück wie ein Spiegel.
    Der Robuste sah sie mit großen Augen an. »Hab' noch nie eine benutzt, Herr ...«
    »Nimm sie, du brauchst sie vielleicht!« Vodalus bückte sich und hielt beim Wiederaufrichten etwas Stockförmiges in der Hand. Metall knirschte auf Holz, und den Stock hatte eine glänzende, schmale Klinge ersetzt. Er rief: »Achtung!«
    Als hätte eine Taube für einen Augenblick eine Viper in ihren Bann geschlagen, so nahm die Frau aus der Hand ihres robusten Gefährten die Pistole, woraufhin sie gemeinsam im Nebel untertauchten.
    Die drei Freiwilligen zögerten. Dann verteilte sich einer nach rechts, ein anderer nach links, um von drei Seiten anzugreifen. Der Mann in der Mitte (der auf dem hellen, mit Knochen geschotterten Weg blieb) hatte eine Pike und einer der beiden anderen eine Streitaxt.
    Der dritte von ihnen war der Anführer, mit dem Drotte vor dem Tor gesprochen hatte. »Wer bist du?« rief er Vodalus entgegen, »und welche Vollmacht von Erebus gibt dir das Recht, hier
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