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Der Schatten des Chamaeleons

Titel: Der Schatten des Chamaeleons
Autoren: Minette Walters Mechtild Sandberg-Ciletti
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Informationen aufzunehmen und zu behalten... Sie büßen Fertigkeiten ein, die sie einmal für selbstverständlich gehalten haben, und müssen sich einer langwierigen Therapie unterziehen, um sie neu zu erlernen. Bei Ihnen handelt es sich um eine sogenannte retrograde Amnesie, das heißt, Sie haben Ereignisse innerhalb eines begrenzten Zeitraums vergessen. Das ist nach einer Gehirnerschütterung nicht ungewöhnlich - aber selten von langer Dauer.« Er sah Acland forschend ins ausdruckslose Gesicht. »Beruhigt Sie das?«
    Nein ... Aber er streckte trotzdem den Daumen in die Höhe. Er wollte nicht noch mehr Getue. Er würde keinen Moment mehr in Ruhe gelassen werden, wenn jemand herausbekam, was in seinem Kopf vorging.

    Vertrauliche Aktennotiz

    Ich danke Ihnen, dass Sie meinen Anruf entgegengenommen haben, und bitte, die Störung Ihrer Sitzung zu entschuldigen. Einzelheiten zu der kurzen Schilderung, die ich Ihnen am Telefon gegeben habe, finden Sie unten. Ich habe inzwischen meine Mitarbeiter befragt, ob noch jemand mit Charles aneinandergeraten ist. Einige berichteten, dass er auf Fragen die Antwort verweigert, sie beschimpft und auf die Verabreichung von Medikamenten mit Wut und Misstrauen reagiert. Für mich gibt es keinen Zweifel daran, dass er es auf das weibliche Personal abgesehen hat. Vom männlichen hat sich bisher niemand beschwert.
    Eine der Hilfsschwestern - Tracey Fielding - erzählte mir, dass er ihr heute Morgen, als sie sein Bett machen wollte, befahl, sie solle »ihre verdammten Hände« wegnehmen. Sie sagte, er habe flüssig gesprochen und sie habe ihn problemlos verstehen können. Sie versuchte, es ins Scherzhafte zu ziehen, und sagte, »Das wünschen Sie sich wohl«, ließ aber das Bettenmachen sein, weil Charles äußerst gereizt war.
    Die beiden Zwischenfälle, von denen ich am Telefon sprach, betrafen ebenfalls Frauen - eine von ihnen bin ich selbst. Beide Male war der Patient gewalttätig geworden bzw. hatte damit gedroht.
    1. Gestern Abend wurde Charles seiner Mutter gegenüber handgreiflich. Sie erzählte mir, als sie ihm die Haare kämmen wollte, habe er sie am Handgelenk gepackt. Sie sagte, er habe »völlig irre« ausgesehen und ihr den Arm umgedreht, bis sie auf dem Boden niederknien musste. Er habe sie nur deshalb nicht
ernsthaft verletzt, weil ihr Mann ins Zimmer gekommen sei und sie befreit habe. Beide Eltern sind verständlicherweise bestürzt, und ich habe ihnen vorgeschlagen, sich die nächsten vierundzwanzig Stunden von ihrem Sohn fernzuhalten. Bitte versuchen Sie ihnen klarzumachen, dass es das Beste wäre, wenn sie vorerst gar nicht mehr ins Krankenhaus kämen. Charles’ Verhalten ist sicher nicht zu rechtfertigen, aber es ist nur allzu offensichtlich, dass seine Mutter ihn wahnsinnig macht. Sie nennt ihn, auch im Beisein anderer, ständig ihren »kleinen Jungen« (!!!).
    2. Sobald Mr. und Mrs. Acland gegangen waren, wollte ich nach Charles sehen. Seine Zimmertür war geschlossen, er hatte die Schläuche der Infusionsgeräte abgenommen und stand am Fenster. Ich forderte ihn auf, sich wieder hinzulegen. Als er darauf nicht reagierte, wollte ich klingeln, und er trat mir in den Weg, um mich daran zu hindern. Er ist über einen Meter achtzig groß und wirkt, wenn er mit geballten Fäusten aufrecht vor einem steht, sehr bedrohlich. Ich sagte, sein Verhalten sei unakzeptabel, worauf er klar und deutlich erwiderte: »Das ist mir scheißegal.« Da ich ihn nicht zusätzlich provozieren wollte, verließ ich das Zimmer. Als ich fünf Minuten später mit einem Pfleger und einem Sicherheitsbediensteten zurückkam, lag Charles brav in seinem Bett, und die Infusionsgeräte waren wieder angeschlossen. Und zwar richtig! Er war sehr blass. Ich glaube, er hatte sich selbst ziemlich erschreckt. Charles weiß meines Erachtens genau, was er tut - er ist weit klarer im Kopf, als wir dachten. Es ist erstaunlich, wie schnell er sich erholt.
    Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie nach Ihrer Rückkehr aus Warwick baldmöglichst nach ihm schauen könnten. Fürs Erste habe ich die Personalschichten umgelegt, so dass Charles jetzt nur noch von Pflegern betreut wird, aber wir haben nicht genug Leute, um das länger als 48 Stunden durchzuhalten. Ich fürchte auch, dass seine Mutter sich nicht fernhalten wird.
    Ich bin bis 17 Uhr auf Station, zu Hause aber jederzeit unter 82 15 81 erreichbar.
     
    Stationsschwester Samantha Gridling, Station 3

2
    Willis setzte sich an Aclands Bett und legte seine Aufzeichnungen
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