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Der Schatten des Chamaeleons

Titel: Der Schatten des Chamaeleons
Autoren: Minette Walters Mechtild Sandberg-Ciletti
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nicht, und ich möchte nicht, dass Sie einen falschen Eindruck bekommen. Sie haben ein blaues Auge, Ihre Haut hat Töne von Gelb bis Indigo, und Ihr Gesicht ist immer noch geschwollen - aber das sind keine bleibenden Schäden. In ein paar Tagen werden Sie sich mühelos wiedererkennen.«
    »Wer weiß«, versetzte Acland mehr skeptisch als ironisch. »Meine Mutter zieht immer wieder ein Foto aus ihrer Tasche, um sich daran zu erinnern, wie ich einmal ausgesehen habe... Und mein Vater sagt, ich hätte kurz nach der Einlieferung so verändert ausgesehen - er behauptet, mein Kopf wäre auf doppelte Größe angeschwollen gewesen -, dass er nicht glauben konnte, dass der Soldat auf der Trage wirklich sein Sohn ist.«
    »Das ist nichts Ungewöhnliches, Charles. Häufig nimmt es die Angehörigen mehr mit als den Betroffenen selbst. Der Patient will erst einmal nur eins: überleben und wieder gesund werden. Und dazu muss er ungeheure Kräfte mobilisieren, die sich einzig auf seine Person konzentrieren. Wenn er zulässt, dass die Familie von diesen Kräften zehrt, wird die Aufgabe viel schwieriger. Eltern und Partner verstehen das oft nicht. Sie glauben an
die Mär von der alles heilenden Liebe und fühlen sich zurückgewiesen, wenn ihre Liebe nicht erwünscht ist.«
    Acland sah zu seinen Händen hinunter. »Ich hoffe, Sie haben das meinen Eltern erklärt. Das hört sich als Grund für den Angriff auf meine Mutter viel besser an als der wahre Grund.«
    »Und der war?«
    »Zu viele gottverdammte Fragen.«
    »Ich hörte, sie wollte Ihnen nur die Haare kämmen.«
    »Das auch.«
    »Was waren das denn für Fragen?«
    »Nichts von Bedeutung.«
     
    Acland sah sich die kleine Pantomime an, wie sein Vater überfürsorglich seine Mutter ins Zimmer geleitete, um Abschied zu nehmen, und fragte sich, weshalb er überhaupt keine Schuldgefühle hatte. Vermutlich lag es daran, dass er diese Frau endlich in die Knie gezwungen hatte. Er fügte sich ihrem Bedürfnis, alles Unangenehme unter den Teppich zu kehren, und sagte, es täte ihm leid, ja ließ sich von ihr sogar auf die Wange küssen, aber sie wussten beide, dass es Theater war. Der Händedruck, mit dem er sich von seinem Vater verabschiedete, war etwas herzlicher, doch auch nur, weil er wusste, welche Vorwürfe den Mann wegen des Fehlverhaltens seines Sohnes erwarteten.
     
    Als mit der Zeit manche Erinnerungen zurückkehrten, fragte Acland Robert Willis, warum dies so sprunghaft geschehe.
    »Inwiefern?«
    »An manches erinnere ich mich ganz klar, an anderes überhaupt nicht.«
    »Zum Beispiel?«
    »Menschen... Einsatzbesprechungen... zwei Aufklärungsunternehmen... die Hitze... die Landschaft.«
    »Erinnern Sie sich an Ihre beiden Corporals?«
    Acland nickte. »Es gibt hier einen Mann bei der Putzkolonne,
der lächelt genauso, wie Barry gelächelt hat. Wenn der kommt, sehe ich sofort Barry vor mir.«
    »Und an Doug erinnern Sie sich auch?«
    »Ja. Das waren zwei gute Männer.«
    »Haben Sie Erinnerungen an den Tag des Anschlags?«
    »Nein. Ich erinnere mich nicht einmal daran, den Befehl erhalten zu haben.«
    »Aber Sie wissen, wie er lautete. Ich habe Ihnen den Bericht gezeigt. Der Nachrichtendienst hatte einen Tipp bekommen, dass der Konvoi Ziel eines Angriffs sein könnte. Daraufhin schickte Ihr Kommandeur seine beste Truppe zur Aufklärung voraus. Er sagte, er habe uneingeschränktes Vertrauen in Sie und Ihre Männer.«
    »Was hätte er denn sonst sagen sollen?«, meinte Acland zynisch. »Wenn er uns niedergemacht hätte, wäre die Moral auf den Nullpunkt gesunken. Die Soldaten würden sich fragen, was zum Teufel sie da eigentlich noch zu suchen haben, wenn nicht einmal ihr Kommandeur hinter ihnen steht. Es ist schlimm genug, dass die britische Öffentlichkeit der Meinung ist, dass wir einen schmutzigen Krieg führen.«
    Er sah beinahe ständig Nachrichtenfernsehen. Gelegentlich machte ihm Willis deswegen Vorhaltungen und sagte, derart hochkonzentrierte Dosen von Schreckensnachrichten lieferten ein verzerrtes Bild von der Welt. Krieg sei das Geschäft der Rundfunk- und Nachrichtensender, nicht des gemeinen Mannes. Acland gab nichts auf den guten Rat und wollte nichts davon wissen, dass er sich den britischen Soldaten im Irak und in Afghanistan persönlich verbunden fühle und jeder neue Todesfall ihn deprimiere.
    »Ihr Kommandeur hat mit großer Achtung von Ihnen gesprochen«, erinnerte Willis ihn jetzt, »und Sie und Ihre beiden Kameraden als Männer von außergewöhnlichem Format
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