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Der Schatten des Chamaeleons

Titel: Der Schatten des Chamaeleons
Autoren: Minette Walters Mechtild Sandberg-Ciletti
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bezeichnet. Werden Sie dafür nicht ausgezeichnet?«
    »Nur in den Kriegsberichten erwähnt. Wenn wir die Besten
gewesen wären, hätten wir uns nicht so leicht abschießen lassen.«
    Willis betrachtete ihn einen Moment nachdenklich, dann blätterte er in den Papieren auf seinem Schoß. Er zog ein Blatt heraus. »Hier habe ich den Ermittlungsbericht. Ich lese Ihnen einen Absatz vor: ›Auf Lieutenant Aclands Scimitar wurde ein Anschlag mit zwei unkonventionellen Sprengvorrichtungen verübt, die in Mikrotunneln am Straßenrand vergraben waren und gleichzeitig explodierten, als das Fahrzeug passierte. Die Sprengkörper waren mit modernsten Geräten zur grabenlosen Erdbohrung angebracht worden, und die Bomben wurden per Fernsignal gezündet.‹« Er zog den Finger einige Zeilen tiefer. »Es folgen Einzelheiten über die Ergebnisse der Untersuchungen vor Ort und über ein Video, das von den Aufständischen aufgenommen wurde. Dann heißt es: ›Bauweise, Tarnung, Anbringung und Zündung der Sprengvorrichtungen lassen auf ein technisches Know-how schließen, wie man es bisher nur aus Nordirland kennt. Auf diese Art Anschläge müssen unsere Soldaten in Zukunft besser vorbereitet werden, wenn weitere Verluste vermieden werden sollen. Es reicht nicht mehr aus, die Soldaten zu warnen, dass in einem ausgebrannten Auto oder einer Mülltonne am Straßenrand eine Bombe versteckt sein könnte.‹«
    Er blickte auf. »Das heißt nichts anderes, als dass Sie nichts hätten tun können. Sie und Ihre Leute waren die ersten Opfer einer neuen Form von Anschlägen, und Ihr einziger Fehler war, dass Sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren.« Er bemerkte den fortdauernden Zynismus in Aclands Blick. »Wie kommen Sie darauf, es wäre Ihre Schuld?«
    »Keine Ahnung.«
    »Hat jemand aus Ihrer Einheit Unzufriedenheit mit Ihrer Führung geäußert?«
    »Nicht dass ich wüsste - aber vielleicht wollte ich es ja vergessen.«
    Willis lächelte. »Sie verwechseln unterschiedliche Formen von
Gedächtnisstörung, Charles. Bei Ihnen handelt es sich um eine sogenannte retrograde Amnesie, die im Allgemeinen die Folge einer Kopfverletzung oder einer Krankheit ist - und darauf haben Sie keinerlei Einfluss. Die emotionale Amnesie wiederum - die von dem Betroffenen sehr wohl beeinflusst werden kann - folgt auf ein traumatisches psychisches Erlebnis. Dieses wirkt sich in manchen Fällen so vernichtend auf die Funktionsfähigkeit eines Menschen aus, dass er jegliche Erinnerung daran blockiert, um die Situation überhaupt bewältigen zu können.« Er schwieg einen Moment. »Soweit ich es beurteilen kann, hat Ihre Gedächtnisstörung keine psychischen Ursachen - aber vielleicht haben Sie mir ja etwas verschwiegen?«
    »Zum Beispiel?«
    »Ist vor Ihrer Abreise in den Irak etwas passiert?«
    Acland starrte ihn einen Moment an. »Nichts von Bedeutung.«
    Das, dachte Willis, war seine Lieblingsantwort. »Vielleicht nicht«, murmelte er, »aber ich denke, die meisten Menschen würde es« - er suchte nach einem Wort - » erschüttern , am Tag der Abreise von der Verlobten den Laufpass zu bekommen.«
    Zorn zeigte sich flüchtig im Gesicht des jüngeren Mannes. »Wer hat Ihnen das erzählt?«
    »Ihre Eltern. Sie konnten nicht verstehen, warum Sie nie von Jen gesprochen haben, warum sie nie angerufen oder eine Karte geschrieben hatte... also hat Ihre Mutter bei ihr angerufen. Jen erklärte ihr, sie könne Sie nicht heiraten und habe es nur für fair gehalten, Ihnen das vor Ihrer Abreise zu sagen. War es so?«
    »So ziemlich, ja.« Acland warf die Papierkugel lässig von einer Hand in die andere. »Meine Mutter war bestimmt stinksauer, dass Jen mich abserviert hatte.«
    »Wieso?«
    »Sie hat mir ständig in den Ohren gelegen, dass ich mich von Jen trennen sollte.«
    »Warum? Hat Ihre Mutter Ihre Verlobte nicht gemocht?«

    »Natürlich nicht. Sie hasst Konkurrenz.«
    Das konnte Willis sich vorstellen. Er hatte Mrs. Aclands zarte Schönheit bewundert, aber gemocht hatte er die Frau nicht. In der demonstrativen Zurschaustellung ihres Schmerzes hatte er so wenig Aufrichtigkeit entdecken können wie ihr Sohn. »Hat Jens Brief Sie sehr getroffen?«
    »Ich habe ihn nicht gelesen.«
    »Sie hat Ihrer Mutter erzählt, dass sie ihn per Einschreiben an Ihren Stützpunkt geschickt hat.«
    »Ich habe ihn gar nicht aufgemacht, sondern gleich in den Papierkorb geworfen.«
    Willis klopfte mit dem Stift leicht auf die Papiere auf seinem Schoß. »Sie müssen gewusst haben, was er
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