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Der Schatten des Chamaeleons

Titel: Der Schatten des Chamaeleons
Autoren: Minette Walters Mechtild Sandberg-Ciletti
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Schmerzen aushalten, werden Sie auch nicht schneller gesund. Im Gegenteil.« Er sah dem jungen Mann forschend ins unbewegte Gesicht. »Machen Sie sich immer noch Gedanken wegen der Amnesie? Machen Sie das Morphium dafür verantwortlich?«

    »Wie soll ich mich an irgendetwas erinnern, wenn ich mich mit allen möglichen Mitteln betäube?«
    »Ja, glauben Sie, der Schmerz wirkt anders? Davon wird einem doch genauso dumpf im Kopf. Mit Schmerzen kann man sich auch auf nichts konzentrieren.« Er beobachtete Acland, der wieder den kleinen Ball hin und her warf, um ihm zu beweisen, dass er irrte. »Nun ja, in Ihrem Fall vielleicht nicht«, sagte er mit trockenem Humor. »Woran können Sie sich inzwischen wieder erinnern?«
    »An nicht viel. Einmal habe ich mich auf einer Straße fahren sehen, die ich nicht kannte - ich glaube jetzt allerdings, dass das ein Traum war.«
    »Das bezweifle ich. Erinnerungsschnipsel kommen einem anfangs immer wie Träume vor. Spätestens wenn Sie sie zusammenfügen können, werden sie Ihnen etwas sagen.« Er beugte sich vor, um dem anderen Mut zu machen. »Wenn Sie sich wieder an Ihr Kommando erinnern können, werden Sie auch alles besser einzuordnen verstehen. Ich vermute, mehr als alles andere plagen Sie Zweifel, ob Sie Ihrer Führungsrolle gerecht geworden sind, richtig?«
    Acland starrte ihn reglos an. Er hatte nicht die Absicht, mit irgendjemandem über seine Ängste zu sprechen, schon gar nicht mit einem Psychiater.
    Willis nahm seine Brille ab, um einen Vorwand zu haben, den Blick abzuwenden. »Ihre Gedächtnisstörung ist nichts Schlimmes, Charles«, sagte er, während er mit einem Zipfel von Aclands Bettdecke die Brillengläser putzte. »Im Gehirn bilden sich Blutergüsse, wenn man den Kopf irgendwo hinhaut - so wie bei jedem anderen Teil des Körpers auch. Die Heilung braucht einfach Zeit.«
    »Dann ist es ja gut.«
    »Es wäre viel schlimmer, wenn das Metall Sie aus einem anderen Winkel getroffen hätte oder Sie Ihren Helm nicht aufgehabt hätten, als Sie aus dem Fahrzeug geschleudert wurden. Ein
durchbohrter oder zertrümmerter Schädel ist etwas ganz anderes. Von einer solchen Schädigung erholt das Gehirn sich nicht so leicht.«
    »Ich habe also Glück gehabt?«
    »Ohne Zweifel - wenn es nur die Wahl gab zwischen einer schweren Schädigung und einer bloßen Erschütterung des Gehirns. Echtes Glück wäre es gewesen, wenn der Splitter Sie verfehlt hätte.« Er setzte die Brille wieder auf. »Sie mögen wohl nicht hören, dass Sie Glück gehabt hätten?«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Sie sind gestern Morgen wütend geworden, als eine Hilfskraft meinte, Sie sollten froh sein, Sie seien immer noch besser dran als mancher andere hier drinnen.«
    »So hat sie das nicht gesagt.«
    »Wie denn?«
    »Sie meinte, ich solle mal nicht gleich den Schwanz einziehen - daraufhin habe ich sie gebeten, ihre verdammten Hände wegzunehmen.« Er ballte die Faust um den Papierball. »Sie sagte, genau das Gegenteil würde ich mir wohl wünschen, und rannte aus dem Zimmer. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.«
    Willis war perplex. »Wollen Sie sagen, sie hat Sie in unangemessener Art berührt?«
    »Nein, Doc«, antwortete Acland sarkastisch. »Ich lasse mich nur nicht gern wie ein Stück Fleisch behandeln - aber wahrscheinlich bin ich hier der einzige Mann, dem das so geht.«
    »Wollen Sie sie anzeigen?«
    »Wozu? Sie hat doch ihre Version schon erzählt. Wer würde mir noch glauben?«
    Ja, wer? Soweit Willis wusste, hatte es nie ähnliche Vorwürfe gegen Tracey Fielding gegeben. Interessant war, wie nahe Aclands und Traceys Schilderungen beieinanderlagen - es bedurfte nur einer kleinen Nuance, um der Sache einen sexuellen Unterton zu verleihen -, und er fragte sich, ob Acland in den Ausdruck
»ziehen Sie nicht gleich den Schwanz ein« absichtlich etwas hineingelesen hatte, was gar nicht beabsichtigt gewesen war. Wenn ja, so bereitete es ihm Sorge, aber er verfolgte es nicht weiter.
    Stattdessen fragte er Acland, ob er nicht seine Eltern noch einmal sehen wolle, bevor sie abreisten. »Sie sind unten und würden sich gern von Ihnen verabschieden.«
    »Haben Sie einen Spiegel? Ich könnte vielleicht mehr Verständnis aufbringen, wenn ich wüsste, worüber meine Mutter die ganze Zeit heult.«
    Willis schüttelte den Kopf. »Außer Verbänden gibt es da nichts zu sehen, Charles.«
    Der Lieutenant griff sich an die rechte Gesichtshälfte. »Da schon.«
    »Ja, gut, aber ein schöner Anblick ist das auch
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