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Der Schatten des Chamaeleons

Titel: Der Schatten des Chamaeleons
Autoren: Minette Walters Mechtild Sandberg-Ciletti
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auf den Knien ab. Mit steinerner Gleichgültigkeit starrte der junge Mann die Wand an. Ohne Zweifel wollte Acland ihn am liebsten gar nicht sehen. »Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie, Charles. Die gute ist, dass Ihre Eltern beschlossen haben, nach Hause zu fahren, und die schlechte, dass Tony Galbraith Ihnen beinahe mit Sicherheit ein allzu optimistisches Bild davon gezeichnet hat, was die Wiederstellungschirurgie leisten kann.«
    Wenigstens hatte er Aclands Aufmerksamkeit. Das gesunde Auge blickte kurz in seine Richtung.
    »Die Chirurgen werden sich anstrengen, aber letztlich müssen Sie entscheiden, mit wie vielen Narben in Ihrem Gesicht Sie leben können. Sie müssen lernen, mit einem anderen Gesicht zurechtzukommen. Ganz gleich, wie gut die Ärzte sind oder wie vernünftig Sie mit der ganzen Sache umgehen, es wird immer eine Lücke klaffen zwischen dem Erhofften und dem Möglichen.«
    Acland ließ ein Brummen hören, das erheitert klang. »Es muss schlimmer sein, als ich dachte, wenn ein Psychiater es mir beibringen muss.«
    Willis machte absichtlich keine Bemerkung über das verbesserte Sprechvermögen. »Schön ist es nicht«, räumte er freimütig ein. »Die Splitter haben das Fleisch bis auf den Knochen
verbrannt und Ihr Augenlid sowie den größten Teil Ihres Auges zerstört. Realistisch gesehen müssen Sie mit bleibenden Narben und Störungen der Nerven- und Muskelfunktionen auf der geschädigten Gesichtsseite rechnen.«
    »Botschaft erhalten und verstanden. Werde mich um einen realistischen Blick bemühen, Sir.«
    Willis lächelte. »Robert reicht auch, Charles. Ich bin nicht beim Militär. Ich bin Zivilbürger und Psychiater, der sich auf Traumatherapie spezialisiert hat.«
    »Bei Kopfverletzungen?«
    »Nicht unbedingt. Den meisten Verwundeten macht die plötzliche Abhängigkeit, in die sie als Patient geraten, sehr zu schaffen. Ich vermute, auch Sie würden lieber draußen herumspazieren, als hier im Bett liegen.«
    »Meinen Beinen fehlt nichts.«
    »Kann sein, aber Sie können von Glück reden, dass Sie es gestern problemlos aus dem Bett und wieder hinein geschafft haben. So, wie Sie hier eingeliefert wurden, bei den Medikamenten, die Sie bekommen, und der schweren Operation, hatte Ihr Gehirn noch gar keine Zeit, sich auf monokulares Sehen einzustellen. Eigentlich hätten Sie beim ersten Schritt auf die Schnauze fallen müssen.«
    »Das ist aber nicht passiert.«
    »Nein. Sie haben anscheinend die Konstitution eines Preisbullen und den Gleichgewichtssinn eines Seiltänzers.« Er musterte den jungen Mann neugierig. »Wie haben Sie Ihre Mutter nur so präzise am Handgelenk zu fassen bekommen? Sie hätten meilenweit daneben greifen müssen.«
    Acland zog unter seiner Bettdecke ein zu einer Kugel zusammengeknülltes Papiertaschentuch hervor und warf es von einer Hand in die andere. »Ich übe.«
    »Warum verheimlichen Sie es?«
    Schulterzucken. »Es ist hier wie im Zoo - mit mir als neuestem Wundertier. Andauernd stupst mich einer an, um zu sehen,
wie ich reagiere. Meistens habe ich keine Lust auf Kunststücke.«
    »Haben Sie deshalb gestern Abend Ihre Tür zugemacht?«
    »Auch.«
    »Und warum noch?«
    »Um zu zeigen, dass ich es kann. Ich wusste, dass früher oder später jemand hereinplatzen würde, um zu beweisen, dass er seine Arbeit macht, wie es sich gehört.«
    »Die Stationsschwester fand, Sie hätten etwas Bedrohliches.«
    »Gut«, sagte er befriedigt.
    Willis machte sich eine Notiz. »Mögen Sie sie nicht?«
    »Sollte ich denn?«
    Merkwürdige Antwort, dachte Willis und lächelte kühl. »Sie sind ein besonderer Fall, Charles. In der Regel dauert es Wochen, bis Patienten so widerspenstig werden. Zu Beginn sind sie immer dankbar und fügsam, ärgerlich werden sie erst, wenn die Genesung nicht so schnell voranschreitet, wie es ihnen lieb wäre.« Er hielt einen Moment inne. »Haben Sie Schmerzen?«
    »Wenn ich welche habe, kann ich mir immer etwas geben lassen.«
    Der Psychiater warf wieder einen Blick in seine Unterlagen. »Aber das tun Sie nie. Wie ich hier sehe, machen Sie keinen Gebrauch von der PCA und verweigern Analgesika. Sind Sie wirklich schmerzfrei... oder ist das so eine Machomarotte?« Er wartete vergeblich auf eine Antwort. »Sie müssten einen ständigen dumpfen Schmerz im Bereich der Operationswunde haben und beim Husten und jeder Bewegung stechende Schmerzen verspüren. Ist das nicht so?«
    »Ich kann damit leben.«
    »Aber das brauchen Sie nicht. Wenn Sie
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