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Der Sandner und die Ringgeister

Der Sandner und die Ringgeister

Titel: Der Sandner und die Ringgeister
Autoren: Roland Krause
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Mutter, oder?«, ruft er ihr zu.
    »Nein. Das begreifen Sie nicht, niemand kann das.«
    »Erklärens es mir.«
    Er muss schreien, zwei Autos jagen unbeirrt an ihnen vorbei. Empört hupend ziehen sie ihre Bahn. Die ganze Palette einhändig machbarer Gesten offenbaren ihm die Fahrer. Hinter ihm her kommt der Fendt.
    »Bleibts weg von mir, oder ...!«, kreischt die Frau.
    Der Polizist streckt den Arm aus, hält ihren Mann auf. Sie rühren sich nicht.
    »Ich hab mich abgemüht mit ihr«, sagt die Frau. Ihre Stimme klingt gepresst. Es rumort in ihr. Sie drückt den Kleinen an sich.
    »Keiner hat das gesehen. Aber der war alles wurscht. Immer rumgetrieben die halbe Nacht. Bei irgendwelchen Grattlern. Um den Kevin hat sie sich nur gekümmert, wenn sie Lust gehabt hat, die Madame. Eine Puppe war der für sie. Heut spiel ich mit dir, und morgen lass ich dich flacken. Aber der ist keine Puppe. Er hat immer jemanden gebraucht und Liebe.«
    »Die geben Sie ihm«, sagt der Sandner.
    Die Fendt fängt an zu weinen.
    »Ja, ich. Nicht die Janine. Ich wollt, dass sie es lernt. Aber ihr war’s egal. Immerzu gestritten haben wir. Sie hat mich alles geheißen. Und dann bin ich heimgekommen, und da stand ihre Tasche schon gepackt. Von mir aus hätt sie verschwinden können, mein Gott, warum ist sie nicht einfach weg? Aber nicht mit dem Kevin, nicht mit meinem Kevin. Der hat mich doch gebraucht. Ich lass doch nicht wieder ... nein, nein, der musst dableiben. Wir ham ... sie ist auf mich los. Die Treppe ist sie runtergefallen. Es war ein Unfall. Ich wollt das doch gar nicht.«
    »Ja«, bestätigt der Sandner. Was immer das bedeuten mag. Nur zwei Buchstaben. Ihre Augen möchte er sich nicht ausborgen.
    »Der Kevin ...«, stammelt sie und dreht sich vom Brückengeländer weg. Schaut die beiden Männer an. Aufgerissene Augen, zitternd.
    »Gisela, bitte, komm da weg!«, fleht der Fendt.
    »Hier sind Sie aufgewachsen?«, will der Sandner wissen, »wie war des?«
    Die Fendt macht noch einen kleinen Schritt vom Geländer weg. Jetzt lächelt sie sogar.
    »Als Kind war es schön hier draußen. Können Sie sich gar nicht vorstellen in einer Stadt. Viel schöner wie in München. Diese Weite, der Geruch. Ich hab immer gedacht, wieder aufs Land zu ziehen, mit dem Kevin – das wäre gut für uns alle gewesen.«
    Noch ein kleiner Schritt. Und noch einer.
    Dem Sandner kommt es vor, als stünden sie eine Ewigkeit auf der Brücke. Ihn fröstelt. Versprengte Regentropfen treffen auf seine Haut.
    Die Fendt erzählt von zu Hause. Von früher. Dass ihre Eltern Lehrer gewesen wären, und von ihrem Hund, dem Oskar, der im nahen Wald beerdigt läge. Ihr Spielkamerad.
    Die Zeit tropft wie Tapetenleim. Eine halbe Stunde auf der Brücke. Wer spricht, springt nicht.
    Plötzlich versiegt der Redefluss der Frau. Es schüttelt sie. Ihre Züge erstarren. Als hätte wer einen Zauber von ihr genommen. Ein Kübel Pech ist übrig.
    Sirenengeheul. Kommt näher. Der Sandner zuckt zusammen, wendet sich um. Ein Reflex. Nicht jetzt!
    Das erste Polizeiauto rauscht heran.
    »Nein«, quäkt der Fendt und macht einen nutzlosen Hopser.
    Sandners Blick schießt zum Geländer. Dorthin, wo sie gestanden ist. Fast ist sie drüber.
    Er wirft sich nach vorn und packt zu. Lass es kein Griff ins Leere sein! Etwas Weiches bekommt er zu fassen. Nichts Menschliches. Nur einen Wimpernschlag lang. Den Rüssel eines Plüschelefanten. Der Kevin hat ihn wohl an sich gepresst, will ihn nicht loslassen. Ob ihn das ein klein wenig aufgehalten hat, kann niemand wissen. Zumindest ein paar Zentimeter hat es ihn aus dem Arm der Frau gehoben. Damit hat sie ja nicht gerechnet.
    Alte Debatte – Zentimeter machen doch manchmal den Unterschied. Die Frau Fendt geht gerade zum freien Fall über. Da kann der Sandner nachfassen. Sein Oberkörper hängt über dem Geländer. Keinen Gedanken, nur ein großes NEIN im Schädel. Einen kleinen Arm erwischt er. Packt zu wie eine Schraubzwinge und brüllt, was seine Lungen hergeben. Gerade noch. Sonst hätt er bloß ein Plüschtier errettet. Er zieht den Buben mit einem Ruck zu sich. Einen Sekundenbruchteil pendelt der am Arm über der Brücke. Der andere hält den Elefanten.
    Dann hat der Sandner den Kevin bei sich.
    Bremsenkreischen und Martinshörner übertönen den Aufschlag. Unter ihnen Chaos. Das Unberechenbare ist über die Autobahn gekommen, fordert Tribut. Stößt wie ein Habicht zwischen friedvolle Tauben. Hin und her gezwirbelt wird sie werden, die Fendt, ein
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