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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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übermannten ihn wieder.
    Am Morgen – zumindest sagten sie ihm, dass es Morgen war, und in Ermangelung eines Vergleichs, an dem er diese Information ermessen konnte, glaubte er ihnen – wurde ihm wieder das große Glück des Bewusstseins zuteil. Oder vielleicht war es gar kein so großes Glück. Er sah die Langnase an der Tür und begriff, ohne sich wirklich an alle Einzelheiten zu erinnern, aber auf syllogistische Weise begriff er, dass er versagt hatte, dass er wieder zum Gefangenen geworden war, dass die Welt und sein Leben in ihr ohne Hoffnung waren. Ein Arzt untersuchte ihn und stellte alberne Fragen. Wie fühlte sich dies oder das an? Wusste er, wo er war? Wer er war? Es fühlte sich mies an. Er war in der Gewalt der hakujin -Polizei. Er war ein happa , ein Butterstinker, eine halbe Langnase. Er machte sich nicht die Mühe zu antworten.
    Am Nachmittag tauchte eine weitere, sehr gut gekleidete Langnase auf und stellte sich als sein Rechtsbeistand vor. Mit ihm kam ein Japaner – ein Nicht-Butterstinker, ein reinblütiges Mitglied des erhabenen und unvergleichlichen Geschlechts der Yamato –, der Erste seiner Art, den Hiro zu Gesicht bekam, seitdem er vom Seitendeck der Tokachi-maru gesprungen war. Er war klein und weich, dieser Japaner, mit aufgedunsenem Gesicht, kurz rasiertem Haar und einer Brille, die für sein Gesicht zu groß war. Er hieß Hanada und sprach mit nördlichem Akzent und einer Heiterkeit, die der Situation nicht ganz angemessen schien. Dann aber fing die Langnase zu sprechen an, und Hanadasan wurde zu einem Apparat, der in mechanischem, monotonem Tonfall die Worte des hakujin verdolmetschte. Für eine Gerichtsverhandlung, so erklärte er, sei Hiro zu krank – da bestehe kein Zweifel –, deshalb werde er hier, im Krankenhaus, zur Anklage vernommen, auf Video. (Und tatsächlich, noch während er dies sagte, drängten sich drei weitere Butterstinker ins Zimmer, zwei von ihnen tätschelten ihre Aktentaschen, der dritte balancierte eine Videokamera auf der Schulter.)
    Hiro wollte sich nur noch verstecken. Er war besiegt und erniedrigt worden, er war ein Versager wie seine hoffnungslose Mutter und sein Hippievater. Er weigerte sich, mit ihnen zu sprechen, sowohl auf Englisch als auch auf Japanisch. Die erste Langnase, sein Verteidiger, hörte sich eine lange List von Anklagepunkten an und plädierte für ihn auf »nicht schuldig«.
    Na gut, ja, natürlich war er nicht schuldig – das verstand sich ja wohl von selbst. Nicht schuldig, jedenfalls was ihre sinnlosen Anklagepunkte betraf. Wessen er schuldig war, das war Dummheit, Naivität, er war schuldig, geglaubt zu haben, dass die amerikajin ihn in den Schoß der Menschheit aufnehmen würden. Er hatte unrecht gehabt, und das war sein Verbrechen. Er hatte versagt, und das war sein Schicksal.
    Am Abend kamen die Reporter, und er hatte seinen schwachen Moment, den einzigen Moment, in dem er schwankte und nahe daran war, seinen Entschluss zu verwerfen. Sie wollten seine Geschichte hören, und einen Moment lang wollte er sie ihnen erzählen, sie ihnen unter ihre Langnasen reiben, einen Moment lang stellte er sich vor, wie diese Geschichte in den Zeitungen und im Fernsehen erscheinen und irgendwie, irgendwo Doggo aus seinem Schlummer reißen könnte, und er stellte sich vor, wie sein Vater ihm zu Hilfe käme wie ein Cowboy auf seinem Pferd. Aber das war dumm. Albern. Der ausgebrannte Kern eines Traums – Asche, sonst war das nichts. Der Polizist drängte die Reporter in den Flur zurück, von wo sie ihre Fragen auf Hiro abfeuerten. Hiro blickte zum Gewirr ihrer Stimmen hinüber, und dann wandte er den Kopf ab.
    Und dann kam Ruth. Sie saß auf dem Stuhl neben dem Bett, mit ihren langen weißen Beinen, die ihn gefangen genommen und versklavt hatten, und sie war auch eine Reporterin. Er blickte ihr in die Augen und sah, dass sie ihn gar nicht kannte. Sie schwor, sie habe ihn nicht verraten – es sei Saxby, ihr bōy-furendo , der Butterstinker gewesen: das hätte er doch wissen müssen! –, und er wurde weich, gab beinahe nach. Aber das war nicht seine Rusu, ihr war das alles nicht wichtig, nicht wirklich. Sie spielte nur eine weitere Rolle, sie benutzte ihn, so wie sie ihn vorher benutzt hatte. Er sagte ihr, er sei müde. Verabschiedete sich von ihr.
    Eins aber wusste Ruth nicht, eins konnte weder der Anwalt noch der Butterstinker an der Tür noch die Krankenschwester wissen, nämlich dass Hiro einen Plan hatte, dass er noch nicht am Boden und besiegt
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