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Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)

Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)

Titel: Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
Autoren: Robert Galbraith
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um ihm wie beim Stierkampf auch noch die letzten banderillas ins Genick zu stoßen; sein Entschluss, sie ziehen zu lassen, nachdem sie sein Gesicht zerkratzt hatte und aus der Tür gerannt war; und der Augenblick geistiger Umnachtung, als er ihr doch hinterherstürzte; die Verfolgungsjagd, die ebenso schnell endete, wie sie begonnen hatte – dank der unabsichtlichen Intervention jener unachtsamen und völlig überflüssigen Frau, die er erst hatte retten und dann beruhigen müssen.
    Prustend und grunzend tauchte er wieder auf. Sein Gesicht und seine Kopfhaut prickelten angenehm betäubt. Er trocknete sich mit dem brettharten Handtuch ab, das hinter der Tür hing, und starrte erneut auf sein grimmiges Spiegelbild. Die vom Blut gesäuberten Kratzer wirkten nun so harmlos wie die Abdrücke eines Kopfkissens. Charlotte saß jetzt bestimmt schon in der U-Bahn. Einer der irrwitzigen Gedanken, die ihn dazu bewogen hatten, ihr nachzulaufen, war die Angst, sie könnte sich auf die Gleise werfen. In ihren Mittzwanzigern war sie einmal nach einem besonders heftigen Streit auf ein Dach geklettert, wo sie betrunken herumgetaumelt war und gedroht hatte zu springen. Vielleicht sollte er sich glücklich schätzen, dass die Personallösung dieser Hetzjagd ein Ende gesetzt hatte. Nach der Szene am frühen Morgen gab es kein Zurück mehr. Diesmal war es endgültig aus.
    Er lockerte den Hemdkragen, der nass an seinem Hals klebte, dann zog er den Riegel zurück, verließ die Toilette und trat wieder durch die Glastür.
    Von der Straße dröhnte ein Presslufthammer zu ihnen herauf. Robin stand mit dem Rücken zur Tür vor dem Schreibtisch. Als er eintrat, zog sie die Hand aus dem Trenchcoat. Er vermutete, dass sie wieder ihre schmerzende Brust betastet hatte.
    »Ist … Geht es Ihnen gut?«, fragte Strike und vermied sorgsam, den verletzten Körperteil in Augenschein zu nehmen.
    »Ja, alles in Ordnung. Hören Sie, wenn Sie mich nicht brauchen können, dann gehe ich wieder«, sagte Robin würdevoll.
    »Nein, nein, nicht doch«, verkündete eine Stimme aus Strikes Mund, der er selbst nur mit Verachtung zuhören konnte. »Eine Woche, das geht schon. Äh … Die Post ist hier …« Er klaubte sie von der Fußmatte und legte sie als Friedensangebot vor Robin auf den leeren Schreibtisch. »Ja, die müssten Sie durchsehen, außerdem ans Telefon gehen, vielleicht ein bisschen aufräumen … Das Passwort für den Computer ist Hatherill23, ich schreibe es Ihnen auf …« Was er unter ihrem misstrauischen, zweifelnden Blick auch tat. »Bitte schön. Ich bin dort drinnen.«
    Er betrat sein Büro, schloss vorsichtig die Zwischentür hinter sich, stand dann eine Weile da und starrte die Sporttasche unter dem leeren Schreibtisch an. Sie beinhaltete sein gesamtes Hab und Gut, denn er bezweifelte, dass er die restlichen neun Zehntel seiner Besitztümer, die er bei Charlotte gelassen hatte, je wiedersehen würde. Wahrscheinlich würde sie die Sachen noch vor dem Mittagessen verbrannt, auf die Straße geworfen, zerschnitten, zertrampelt, mit Bleichmittel übergossen haben. Der Presslufthammer auf der Straße unter ihm dröhnte unablässig weiter.
    Die Aussichtslosigkeit, seinen riesigen Schuldenberg je zurückzuzahlen, die entsetzlichen Konsequenzen, die der bevorstehende Bankrott seiner Firma haben würde, und die drohenden, noch unbekannten, aber gewiss grässlichen Folgen seiner Trennung von Charlotte ließen ein Kaleidoskop des Schreckens vor seinem erschöpften inneren Auge aufscheinen.
    Ohne bemerkt zu haben, dass er sich überhaupt bewegt hatte, fand er sich auf dem Stuhl wieder, auf dem er die letzten Stunden der vergangenen Nacht verbracht hatte. Durch die dünne Wand hörte er gedämpfte Geräusche aus dem Vorzimmer. Die Personallösung fuhr bestimmt gerade den Computer hoch und würde bald herausfinden, dass er in den vergangenen drei Wochen keine einzige geschäftliche E-Mail erhalten hatte, und unausweichlich würde sie in der Post auf zahlreiche letzte Mahnungen stoßen. Erschöpft, geschunden und hungrig ließ Strike den Kopf auf den Schreibtisch sinken und bedeckte Augen und Ohren mit den Armen, um nicht mit anhören zu müssen, wie nebenan eine ihm völlig Fremde seine beschämende Situation bloßlegte.

3
    Fünf Minuten später klopfte es an der Tür. Strike, der kurz vor dem Einschlafen gewesen war, schreckte auf dem Stuhl hoch.
    »Entschuldigung?«
    Sein Unterbewusstsein hatte sich wieder mit Charlotte beschäftigt, und er war
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