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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris
Autoren: Christine Lehmann
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Anden verschleppt worden und bis heute Geisel der FARC. Derzeit gingen Gerüchte um, sie sei schwer krank und werde sterben, wenn sie nicht bald in ärztliche Behandlung komme. Aber Genaues wusste man nicht.
    »Aber Mama«, hatte ich argumentiert, »ich kenne niemanden, der mehr Schiss hat als Elena. Und wenn die es für sicher hält, dann ist es sicher. Ihr Vater hat Bodyguards für die ganze Familie, wir wären keine Sekunde ohne Schutz.«
    »Ich habe Nein gesagt, Jasmin!«, sagte Mama. Es klang, als würde sie gleich Migräne kriegen.
    »Für einen Arzt sind die Smaragdminen ein wichtiges Thema«, überlegte mein Vater jetzt plötzlich laut. »Die Arbeitsbedingungen dort sind hart, in den Slums an der Mine leben Zehntausende von Schatzgräbern, die im Minenschlamm nach Steinen suchen. Da gibt es sicher viel zu tun.«
    »Dann komm doch einfach mit!«, schlug ich vor. »Elena und ihr Vater haben sicher nichts dagegen. Ich frage sie gleich nachher, wenn wir uns zum Reiten treffen.«
    »Ja, frag sie mal«, antwortete Papa.
    Mama seufzte. Wieder mal hatte ich Papa auf meine Seite gezogen und gewonnen: Sie machten ihre Fahrradtour und ich musste nicht mit.
    Doch kaum waren sie weg, rief Elena an und sagte unseren Ausritt ab, weil sie mit ihren Eltern Verwandte besuchen musste. Aber natürlich könne ich mir eines ihrer Pferde nehmen und alleine ausreiten. Dazu hatte ich jedoch keine Lust.
    Ich surfte ein bisschen im Internet und schrieb eine E-Mail an Vanessa. In Deutschland war es jetzt bereits Nachmittag. Vanessa war auf einem Stadtfest, wie sie mir letztes Mal geschrieben hatte. Ich hatte schon halb erzählt, wie das Seidenäffchen Simons Uhr geklaut hatte, als mir einfiel, dass Vanessa nichts von Simons Pfand meiner Wiederkehr wusste, denn das war eine Sache nur zwischen ihm und mir, und dass womöglich Simon meine E-Mail an sie lesen würde. Es war nicht sehr wahrscheinlich, aber möglich. Also löschte ich alles wieder. Statt E-Mails zu schreiben, sollte ich überhaupt besser versuchen, die Uhr zurückzubekommen.
    Jetzt wünschte ich mir, ich hätte es doch meinen Eltern erzählt oder Elena, auch wenn ihre Ratschläge mir meistens nicht wirklich weiterhalfen.
    Vielleicht hätte mein Vater den Gärtner zur Rede gestellt, auch wenn sein Spanisch noch etwas unbeholfen war. Andererseits war so ein Konflikt für Männer gefährlicher, denn die Messer saßen hier locker und Auseinandersetzungen verliefen schnell blutig. Wenn meinem Vater etwas passiert wäre, wäre ich mit schuld daran gewesen, und das hätte ich nicht ausgehalten. Meine Mutter hätte wahrscheinlich vorgeschlagen, dass wir zur Polizei gehen. Und dann hätten wir den Sonntagvormittag auf der Polizeistation verbracht. Vielleicht hätten sie uns gefragt, ob wir mit dem Gärtner gesprochen und unser Eigentum zurückgefordert hätten. Es wäre total peinlich gewesen: Ausländer, die sich reinlegen lassen, mein Vater, der nicht Manns genug ist, sich einen Gärtner zur Brust zu nehmen, und ich, ein deutsches Mädchen, das so bescheuert ist, die Tür zu öffnen, wenn ein Affe auf dem Balkon herumturnt, weil es glaubt, das Tierchen habe Hunger. Nein, das wäre wirklich zu peinlich gewesen.
    Aber irgendwie musste ich Simons Pfand meiner Wiederkehr zurückbekommen. Ich war es ihm schuldig, dass ich etwas unternahm. Ich musste ihm wenigstens etwas erzählen können: »Du, ich habe alles Mögliche versucht! Alles! Aber der Gärtner hat geleugnet, das Äffchen war über alle Berge und die Polizei hat dann auch nur mit den Schultern gezuckt.«
    Nichts von dem hatte ich bisher in Angriff genommen.
    Also stand ich auf und ging noch mal auf den Balkon meines Zimmers, um hinunterzuschauen. Der Indio war in dem Teil der Anlage, den ich überblicken konnte, nicht mehr zu sehen. Na gut, dann eben nicht.
    Nur, was fing ich jetzt mit dem Sonntag an? Meine Eltern würden nicht vor dem Nachmittag zurückkommen. Der Himmel war ausnahmsweise mal blau. Spazieren gehen?
    Sonntage waren nicht meine Tage. Echt nicht. Meine Eltern hatten nie Lust, Leute zu treffen. Sie trafen schon die Woche über so viele, da wollten sie den Sonntag für sich und mit mir alle Gespräche führen, die sie die Woche über nicht führten. Die Grillnachmittage, die in unserer Siedlung El Rubí am Wochenende stattfanden, hatten sie bereits für langweilig befunden. Und auf den Diplomatenball am kommenden Samstag hatten sie natürlich auch keine Lust. Glücklicherweise fand Papa ihn aber aus beruflichen
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