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Der Roman eines Konträrsexuellen

Der Roman eines Konträrsexuellen

Titel: Der Roman eines Konträrsexuellen
Autoren: Emile Zola
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mein einsames Laster fort, das bald keinen Reiz mehr für mich hatte und das ich in der Folgezeit aufgab, denn es fing an, meinen Körper und meinen Geist allzusehr anzustrengen und machte mir fast gar kein Vergnügen mehr.
    Nach mehrmonatigem Aufenthalt in Paris kehrten wir nach Italien zurück, wohin die Geschäfte meinen Vater aufs neue riefen. Ich besuchte wieder eine Akademie der schönen Künste, doch ich hatte für die Kunst keine Leidenschaft mehr und ging nur hin, um nicht etwas anderes tun zu müssen, was mir in dem psychischen Zustande, in dem ich mich befand, ganz besonders widerwärtig gewesen wäre. Die Jungen, die mich in der Schule der schönen Künste umgaben, erschienen mir schrecklich gewöhnlich und gemein; sie hatten gräßliche Hände, meine waren die schönsten und gepflegtesten, die man nur sehen konnte. Außerdem war ich sehr stolz auf meine Geburt, auf meine Reisen, auf meine höhere Erziehung, und ich hatte keine Lust, mit so kleinen Leuten zu verkehren, die fast alle Söhne von Schlächtern oder Krämern waren. Jetzt sind mehrere von ihnen reizende Künstler, während ich selbst in der Kunst, die ich mir gewählt hatte – allerdings aus Laune gewählt hatte – keine Fortschritte gemacht habe.
    Ich war Herr über meine Zeit, denn ich ging nur sehr selten zur Schule und brachte meine Zeit mit Grübeln und Lesen zu. Während dieser Zeit betrat ich, von einigen meiner Gefährten und Vettern meines Alters beeinflußt, zum ersten Mal ein öffentliches Haus. Ich verließ es verzweifelt und angeekelt. Die Frauen reizten mich überhaupt nicht, und ich empfand nur Widerwillen gegen sie. Eine von ihnen umarmte mich, und ich empfand einen so heftigen Ekel vor dieser schrecklichen Person, daß ich mich so schnell wie möglich von ihr losmachte und eiligst davonging, zur großen Verwunderung derjenigen, die mich an diesen Ort begleitet hatten. Ich bin mehrere Male dorthin zurückgekehrt mit dem festen Wunsch, meinen Widerwillen zu besiegen und das zu tun, was die anderen tun, doch es ist mir niemals gelungen. Ich blieb eiskalt unter den glühendsten Liebkosungen und empfand nur einen schrecklichen Widerwillen.
    Einer meiner Freunde, ein junger Wüstling, wollte mich sogar an seinen Manipulationen mit einem dieser Weiber teilhaben lassen, doch ich konnte meine angeborene Abneigung nicht überwinden, und diese ausschweifende Szene ließ mich vollständig kalt.
    Diese schlechten Orte übten dennoch auf mich eine Art geheimer Anziehungskraft aus, und so manches Mal habe ich nicht diejenigen beneidet, die dorthin gingen, wohl aber die, die darin wohnten.
    Ich kam soweit, daß ich mich als ein außergewöhnliches und phantastisches Wesen betrachtete, ein Wesen, bei dessen Entstehung die Natur sich geirrt hat, das seinen entsetzlichen Zustand wohl erkennt, nichts aber dazu tun kann, ihm abzuhelfen. Ich verlor den Geschmack an allem; meine traurige und verdüsterte Seele überließ sich einer tiefen Verzweiflung, und ich verfiel in vollständige Niedergeschlagenheit.
    Ich verbrachte meine Vor- und Nachmittage damit, daß ich in den Gärten und an einsamen Plätzen spazieren ging; im Banne der größten Traurigkeit verzweifelte ich an allem, an der Natur wie an Gott. Ich fragte mich, warum ich unter so elenden Verhältnissen geboren sei und welches Verbrechen ich vor meiner Geburt begangen hätte, um in so schrecklicher Weise bestraft zu werden. Meine ganze Umgebung merkte nichts und schrieb mein Schweigen und meine Traurigkeit einem schlechten Charakter, einer natürlichen Seltsamkeit zu. Mein Vater war viel zu sehr mit seinen Geschäften und der Wiedergewinnung seines Vermögens beschäftigt, an das er fortwährend dachte; meine Mutter kümmerte sich um das Haus und ihre Besuche und war außerdem nicht von der Art, daß sie sich wegen seelischer Leiden beunruhigt hätte.
    Meine Brüder waren fern, ich lebte also ganz allein, meinen Schmerzen und meinen traurigen Gedanken überlassen. Ich sah mein ganzes Leben vor mir liegen, zerstört von einer schrecklichen Leidenschaft, die die blinde Natur mir eingeflößt hatte. Ich fühlte in mir Schätze, von denen niemand etwas wissen wollte, die stets in meiner Seele eingeschlossen bleiben und mich schließlich rasch töten würden.
    Es kam soweit, daß ich mir den Tod wünschte und ihn in der schrecklichen Einsamkeit, in der ich mich befand, herbeisehnte. Nie werde ich die schrecklichen Qualen ausdrücken können, die mich damals peinigten. In diesem langen,
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