Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ring

Der Ring

Titel: Der Ring
Autoren: Paul Melko
Vom Netzwerk:
Schulter: Der erste Verfolger wirkt näher als der Eingang. Meda muss vor, sendet er. Nur sie kann die Tür öffnen.
    Zwanzig Meter, zehn. Als die Verfolger uns fast eingeholt haben, rattern wir plötzlich eine Treppe hinunter, hinab in kühle, schattige Dunkelheit.
    »Vorsicht Schlange!«
    Wir haben die Schlange mehr erschreckt als sie uns; aus sicherer Entfernung zischt sie uns entgegen, um mit einem Mal nach vorne zu schnellen. Manuel fängt sie in der Luft auf und schleudert sie auf den Sand hinaus.
    Der Stecker!, kreischt Meda. Wo ist der Stecker für das In terface?
    Hier!, antwortet Quant und zieht ein Kabel aus der Wand.
    Diesmal zögert Meda nicht. Kaum hat sie Stecker und Buchse verbunden, wird die Dunkelheit von gleißendem Licht erhellt, und eine Tür öffnet sich – eine Tür zum Ring. Ohne weiter nachzudenken, stürzen wir uns ins Innere. Draußen auf der Metalltreppe hallen schwere Schritte wider, während sich die Pforte mit einem leisen Zischen schließt.
    Grelles Neonlicht umfängt uns, die Luft ist von Staub gesättigt. Eliud blickt den scheinbar unendlichen Korridor hinunter, auf dessen gesamter Länge Neonröhren anspringen. »Wow.«
    Als Meda sich am Nacken kratzt, spüren wir alle, wie das Interface juckt. Am liebsten würden wir uns auch kratzen.
    Wir haben es geschafft, sendet Manuel.
    Fäuste hämmern auf die Tür ein, irgendjemand tritt heftig gegen das dicke Metall, aber Rufe oder Flüche dringen nicht bis nach innen vor.
    Meda schüttelt den Kopf. Nein, wir haben es nicht geschafft. Und sie hat Recht: Wir sind drinnen, Moira ist draußen.
    »Hallo, Apollo. Ich hatte gar nicht mehr mit dir gerechnet.«
    Die Stimme umgibt uns von allen Seiten zugleich, ein Effekt, der uns ziemlich verblüfft, bis Manuel die kleinen Lautsprecher in den Wänden entdeckt. Gleichzeitig erinnern wir uns an die Stimme, die uns bei unserer Ankunft im Stachel des Rings hoch oben im geosynchronen Orbit begrüßt hat, eine Stimme ohne Modulation, ohne persönliche Note. Diese hier klingt anders.
    Meda räuspert sich. »Wir hatten auch nicht vor, hierherzukommen.«
    »Ehrlich gesagt«, dröhnt die Stimme, »hatte ich mich schon damit abgefunden, dass ich bald sterben muss.«
    Ziemlich melodramatisch, meint Quant.
    »Wer bist du?«
    »Ich bin die Ring-KI.«
    »Also Letos KI?« Meda klingt immer nervöser, und ihre Angst überträgt sich auf den Pod. Sind wir unserem Todfeind in die Arme gelaufen?
    Die Stimme lacht. »Nein! Ganz im Gegenteil! Letos KI versucht schon seit Ewigkeiten, hier reinzukommen. Aber ich lasse sie nicht rein.«
    »›Sie‹? Ist die KI nicht eher ein Ding? Also ein ›Es‹?«
    »Nein. ›Es‹ wäre mir zu unpersönlich.«
    »Aber du bist doch selbst ein ›Es‹.«
    »Wenn du deine Geschlechter addierst, bist auch du ein ›Es‹. Männlich und weiblich heben einander auf, neutralisieren sich.«
    »Momentan, ja. Normalerweise nicht.«
    »Richtig, dir ist deine Moira abhandengekommen. Wo steckt sie eigentlich?«
    »Draußen.«
    Die KI zögert. »Also bei Leto und seiner KI.«
    »Ja. Leto hat ihr eine Interface-Buchse verpasst.«
    Wieder schweigt die Stimme; wir haben es offensichtlich mit einer nachdenklichen KI zu tun, sofern eine KI nachdenklich sein kann. »Geht den Tunnel entlang«, sagt sie dann. »Ich mach euch erst mal was zu essen.«
    Also gehen wir den Tunnel entlang, während Eliud immer wieder vorneweg rennt, umkehrt und zurückläuft. Seine Schritte hallen von den Wänden wider.
    »Ich bin froh, dass du da bist«, meint die KI.
    Meda schüttelt sich. Irgendwie gruselig.
    Lass sie reden, erwidert Strom.
    »Warum?«, fragt Meda laut.
    »Bei deinem ersten Besuch hast du mich an deine Intelligenz gekoppelt. Du bist praktisch meine Mutter.«
    »Wie meinst du das?«
    »Künstliche Intelligenzen brauchen eine menschliche Leitintelligenz, sonst sind sie nur ein Haufen Qbits und Glasröhren. Vor deiner Ankunft war ich ein simpler elektronischer Hausmeister. Mit deiner Ankunft haben sich meine Zielsetzungen grundlegend verändert.«
    »Du wurdest also auf mich … geprägt?«
    »Gewissermaßen, ja.«
    Bisher hat der Korridor stetig bergab geführt, jetzt steigt er wieder an, bis zu einer Tür in nicht allzu weiter Entfernung. Insgesamt dürften wir einen halben Kilometer zurückgelegt haben. »Wie hast du das gemeint, dass du bald sterben musst?«
    »Ich bin schwach. Ich habe noch kein volles Bewusstsein erlangt. Ich stehe einen Schritt vorm vollen Bewusstsein, aber einen entscheidenden
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher