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Der Ring

Der Ring

Titel: Der Ring
Autoren: Paul Melko
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steil, und immer wieder ziehen sich Canyons durch die Hügel, tiefe, von Springfluten ausgehöhlte Rinnen, in denen wir mit Sicherheit stecken bleiben würden.
    Nach Sonnenuntergang wird es kalt in der Wüste. Quant schaltet in den Leerlauf, damit wir uns am feuchten, heißen Atem des Auspuffs wärmen können. Doch der Wasserdampf setzt sich in unserer Kleidung fest, so dass wir sofort auskühlen, wenn wir uns nur ein paar Schritte entfernen. Trotzdem spaziert Moira in die Wüste, aufmerksam beobachtet von Meda. Seitdem sie aufgewacht ist, hat sie weitgehend geschwiegen. Schließlich beschließt Meda, es noch einmal zu versuchen; das folgende Gespräch übermittelt sie später an den Pod.
    »Dir ist schon klar«, fängt sie an, »dass Leto dein Bewusstsein manipuliert, oder?«
    Moira nickt. »Möglich. Aber ich registriere keine Inkonsistenz. Mein Leben kommt mir so ganz richtig vor.«
    Meda weiß nicht, wie sie darauf reagieren soll; wären wir bei ihr gewesen, wäre ihr das nie passiert. »Natürlich denkst du das. Darauf wurdest du schließlich programmiert.«
    »Du wurdest ebenfalls darauf programmiert, dich so zu fühlen, wie du dich fühlst.«
    »Das ist doch kein Argument. Du warst meine Schwester, und jetzt bist du ein Roboter. Das sind nun mal die Tatsachen.«
    »Du denkst immer nur an dich.«
    Meda hält inne, überrascht von ihrem Tonfall. Plötzlich klingt sie wieder wie die alte Moira. »Ja. Ich denke immer nur an den Pod. An Apollo. Ich will dich zurückhaben.«
    »Du hast die Community kennengelernt. Du weißt, wie es dort ist.«
    Natürlich erinnert sich Meda an ihre Zeit mit Leto: wie sie ihr Schloss erschufen, wie sie sich liebten. Natürlich erinnert sie sich an die Macht, die in dem kleinen Kästchen steckte. Nein, nicht in dem Kästchen – in der KI. Sie hatte es für eine Art Kommunikationskatalysator gehalten, aber es war die KI selbst gewesen.
    »Damals wart ihr nur zwei Menschen«, fährt Moira fort. »Stell dir vor, wie es mit zehntausend Menschen gewesen wäre. Stell dir vor, wie es gewesen wäre, wenn die KI jeden deiner Gedanken verstärkt hätte. Ein unglaublicher Synergieeffekt. Stell dir vor, wie es wäre, wenn unser ganzer Pod Teil der Community wäre. Du und ich, wir haben nur die Spitze des Eisbergs kennengelernt. Aber gemeinsam, alle von uns im Verbund mit Letos KI, wären wir eine Macht. Nichts könnte uns aufhalten. Die kollektive Intelligenz eines Pods, unsere instinktive Befähigung zum Konsens, würde die Leistungsfähigkeit der KI exponentiell steigern, um ein Vielfaches mehr als gewöhnliche Individuen.«
    Wie früher, wenn sie ihre Schwester um Rat gefragt hat, schweigt Meda, ein vertrautes Gefühl. Erst nach einigen Sekunden weiß sie wieder etwas zu sagen. »Worum geht es hier eigentlich? Um Macht?«
    »Warum nicht?«
    »Was ist mit Wissen, Forschung, dem Wiederaufbau der Erde? Was ist mit der Wissenschaft, was ist mit der Biologie?«
    Als Moira verächtlich lacht, wird sich Meda wieder bewusst, mit wem sie es hier zu tun hat. Darüber hätte ihre Schwester niemals gelacht. »Wusstest du eigentlich von den Raumschiffen auf dem Ring?«, fragt Moira jetzt. »Wir können sie in vierundzwanzig Stunden startklar machen. Ein paar Wochen später hätten wir das Rift durchquert.«
    »Das würde Leto niemals zulassen.«
    »Doch, natürlich. Sobald die Zweite Community fertiggestellt ist.«
    Meda verkneift sich einen bissigen Kommentar. »Erinnerst du dich an Eliud? Seine Mutter hat ihn für die Community verlassen.«
    »Die Mitgliedschaft in der Community ist absolut freiwillig. Eliud hätte sich ebenfalls für die Community entscheiden können.«
    »Aber er ist doch erst zwölf! Er ist doch viel zu jung für solche Entscheidungen!«
    Moira zuckt die Schultern. »Die Community-KI hätte ihn bei der Entscheidungsfindung unterstützt.«
    Meda kann sich nicht erinnern, jemals so wütend auf ihre Schwester gewesen zu sein. Sie wendet sich ab, kommt aber nicht zu uns, sondern starrt in die Wüste hinaus. Neben den Traktor gekauert, beobachten wir sie schweigend, bis sie schließlich zu uns zurückkehrt. Endlich können wir unsere Erinnerungen zu einem Ganzen machen. Aber was jetzt? Einerseits sehnen wir uns nach einer Verbindung mit Moira, andererseits haben wir Angst, am Irrsinn ihrer Gedanken zu scheitern. Sollen wir es versuchen oder nicht? Der Pod ist sich uneins. Wir bewegen uns an der Grenze zum ungültigen Konsens.
     
    Beim Morgengrauen klettern wir wieder ins Führerhaus.
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