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Der Retuscheur

Der Retuscheur

Titel: Der Retuscheur
Autoren: Dimitri Stachow
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Rache für mich selbst und auch nicht für Tanja war. Der Widerstreit, in dem ich gelebt hatte, erwies sich als sekundär. Ich hatte jemandem als Werkzeug gedient, war benutzt worden.
    Alina, kaum dass sie in meinem Studio aufgekreuzt war, hatte mit klugen Reden auf mich Eindruck machen wollen und gesagt, dass alle benutzt würden, das sei nun mal so. Das war ihr Köder gewesen. Sie dachte, ich beiße darauf an, auf ihre billigen Überlegungen über die Launen des menschlichen Schicksals.
    Wirklich benutzt werden indessen nur die, bei denen es etwas zu benutzen gibt. Bei mir war das der Fall. Alinas glatter Hintern, der verführerische Glanz ihrer Augen, ihr üppiger Busen hatten danach verlangt, benutzt zu werden: In fünf, sechs Jahren wäre von ihren Reizen nichts übrig geblieben. Übrig geblieben wären allein Langeweile und überflüssiges Herumphilosophieren. Meine Gabe hingegen war von Ewigkeit.
    Mir war klar, dass mir nur sehr wenig Zeit blieb. Und deshalb kümmerte mich der betäubte Vitjascha ebenso wenig wie der verblutende Kulagin. Ich sah Tanja an, und sie begriff alles, ließ den Stuhl los, nahm das im Retuschiergerät liegende Foto und drehte es um. Sie schrie auf und stürzte zu mir.
    Ich war – und bin immer noch – frappiert über meine Selbstbeherrschung. Ich umarmte sie nur und versuchte sie zu beruhigen.
    »Weshalb das?!«, fragte sie. Ich zuckte nur die Schultern.
     
    Der Ausruf »Also, gerade wie die Turteltauben!« holt uns in die Wirklichkeit zurück.
    Wir drehen uns beide nach der Stimme um. In meinem Studio stehen neue, ebenfalls ungeladene Besucher. Sie sind zu zweit – eine Art neuer Vitjascha, nur noch kräftiger gebaut, und ein Mann in einem exquisiten, perfekt sitzenden Anzug. Seine Gesichtszüge erinnern mich dunkel an jemanden. Ich starre ihn an, er lacht herzhaft, geht zum Tisch, hebt einen Stuhl an, setzt sich darauf, schlägt die Beine übereinander. Er ist exzellent frisiert, jedes Härchen wie einzeln gekämmt, Haut und Hände sind gepflegt. Er sitzt auf dem Stuhl und hört nicht auf zu lachen.
    »Grüß dich, Genka!«, sagt er, und ich erkenne Wolochow.
    »Hast mich wohl nicht erwartet? Entschuldige, dass ich ungebeten komme, aber dafür habe ich vorhin einen Bekannten von dir getroffen.«
    Er holt aus seiner Tasche ein Schächtelchen mit Mikrofilmen. Ich betrachte ihn wie verhext.
    »Und weißt du«, sagt Wolochow, »dein Bekannter hat sich störrisch gezeigt. Er wollte nicht hergeben, was nicht ihm gehörte. Nuschelte etwas, drohte. Dann« – Wolochow macht eine Pause, betrachtet die Körper Kulagins und Vitjaschas –, »dann bat er, ihm nichts zu tun, ihn am Leben zu lassen. Weinte. Er hat, wie sich herausstellt, zwei Kinder. Hast du nicht gewusst? Zwei. Ich bin Gott sei Dank kinderlos, du kennst väterliche Gefühle auch bloß vom Hörensagen, während er zwei hat. Zwei Kinder, und dermaßen wild darauf, die erste Geige zu spielen! Besser, er hätte sich still verhalten – aber was macht er?! Wie der hier.« Wolochow sieht wieder zu Kulagin hin und richtet seinen Blick dann auf Vitjascha. »Der sich als Genie geriert. Alles organisiert, alles vorbereitet haben will er. Von Gernegroßen halte ich gar nichts!«
    Wolochows Begleiter nickt, knöpft sein Jackett auf, greift zu seiner Pistole mit Schalldämpfer. Tanja macht eine kaum wahrnehmbare Bewegung, als wollte sie sich hinter meinem Rücken verstecken, doch der Mann mit der Pistole richtet deren Lauf nicht auf sie: Es knallt zweimal, Kulagins und Vitjaschas Köpfe zucken.
    »So!« Wolochow sieht mir in die Augen. »So war es auch mit deinem Freund, der in jeder Beziehung ein kleiner Milizmajor gewesen ist. Weggepustet und Schluss!«
    »Schuft!«, schreit Tanja.
    Wolochow zuckt die Schultern, sein Mann steckt die Pistole weg, tritt zu Tanja, holt aus und versetzt ihr mit der flachen Hand einen Schlag ins Gesicht.
    »Mag sie sich ausruhen«, sagt Wolochow, während er mit einem schrägen Blick beobachtet, wie Tanja quer über Vitjaschas Leichnam fällt. »Wenn wir beide uns einigen, und es kann gar nicht anders sein, als dass wir uns einigen, lasse ich sie dir.«
    Er nimmt eine Weinflasche vom Tisch, betrachtet mit Kennerblick das Etikett und übergibt die Flasche seinem Begleiter. Der entkorkt sie, gießt ein wenig Wein in eines der Gläser und probiert. Dann füllt er ein zweites Glas und reicht es Wolochow. Der trinkt und verzieht das Gesicht.
    »Etwas sauer!« Er stellt das Glas auf den Tisch und wischt sich die
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