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Der Retuscheur

Der Retuscheur

Titel: Der Retuscheur
Autoren: Dimitri Stachow
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den Kaffee in die Tassen.
    »Danke!«, sagte er, nahm einen Schluck und verbrannte sich dabei. »Schon lange habe ich keinen guten Kaffee mehr getrunken! Na schön. Machen wir weiter! Als Zeuge wird man sich also nicht an dich halten. Als Mörder auch nicht.« Er steckte die Hand in seine Jacketttasche und holte das bewusste Negativ heraus. »Erkennst du ihn? Er ist das, ja? Aber wie gesagt, mir wird niemand glauben. Ist dir aus der Jackentasche gefallen, als du deinem Kindheitsfreund die Augen geschlossen hast. Was für eine tragische Minute! Die Freunde werden sich nicht wiedersehen …«
    Ich schlug ihm auf die Hand, die Tasse fiel auf den Fußboden, der herausgeschwappte Kaffee hinterließ auf seinem Jackett einen braunen Fleck.
    »Was willst du von mir, du Mistkerl?!«, brüllte ich. »Wozu bist du hergekommen, he?!« Und versuchte ihn am Kragen zu packen.
    Das war ein Fehler. Der nicht eben große, schlanke Sascha fing meine Hand mühelos ab, duckte sich, verpasste mir einen Leberhaken, wobei er mir den Arm verrenkte und ein Bein stellte.
    Ich krachte auf den Fußboden, während er nach einem Hocker griff, zwischen dessen Beinen ich zu liegen kam, setzte sich darauf und presste mir die Absätze seiner Schuhe schmerzhaft auf die Hände.
    »Die Reinigung bezahlst du mir!«, drohte er und langte sich vom Küchentisch meine Kaffeetasse.
    Ich war wie betäubt und praktisch bewegungsunfähig, wie ich feststellen musste. Der kahlköpfige Sascha betrachtete mich gespannt wie einen exotischen Käfer, der, aufgespießt, sein Leben aushaucht.
    »Also folgendermaßen«, sagte er, »du übergibst mir die Dokumente. Was ich mit ihnen mache, wird sich finden. Baibikow ist ausgeschaltet. Ausgezeichnet! Jetzt heißt es die ausschalten, die ihn haben umbringen lassen. Wo sind die Papiere?«
    »Weiß ich nicht!«
    »Habe ich nicht verstanden!« Er drückte seine Absätze stärker auf meine Hände.
    »Tut doch weh!«, stöhnte ich.
    »Es wird noch mehr weh tun«, versprach er. »Rückst du die Papiere raus, siehst du mich nie wieder. Stellst du dich bockbeinig, mache ich dich fertig. Ich mache dich so fertig, dass du mich dein Lebtag nicht vergisst! Einen Espenpfahl treib ich dir in die Kiemen!«
     
    Dass das Negativ in dem Moment aus meiner Jackentasche gefallen war, als ich mich über Baibikow beugte, hatte etwas von tragischer Vorbestimmung. Warum war ich es nicht losgeworden, hatte ich es nicht beizeiten weg geworfen? Jetzt weiß ich es: weil ich vorhatte, meine Arbeit wieder aufzunehmen, weil ich ein neues Archiv aufbauen wollte, aber kein Archiv zufälliger Opfer mehr, sondern bewusst ausgewählter.
    In mir hatte sich ein nagendes Gefühl geregt, von dem ich mich verleiten ließ.
    Der Umgebung fehlte es in der Tat an Schärfe, einige Details waren nicht richtig durchgezeichnet. Doch nicht hier schien mein Eingreifen geboten, nicht bei den Details. Was mich reizte, waren Personen, aus dem Hintergrund heraustretende Gestalten. Das war kein Zeichen von Schwäche. Ist es denn Schwäche, wenn man einer Gabe wie der meinen folgt? Im Gegenteil! Eine heroische Handlungsweise ist das! Einem gewöhnlichen Menschen wird nie eine derartige Gabe zuteilwerden, ein gewöhnlicher Mensch kennt nur ihm gemäße Begabungen wie einen Fernsehapparat reparieren oder einen Kartentrick vorführen. Außerdem bedeutet das auch noch, Verantwortung zu übernehmen: unter Millionen einen auszuwählen, unfehlbar auszuwählen, so, dass die Übrigen nur danke sagen können. Und dazu gehört Bescheidenheit: stets im Schatten, unbekannt zu bleiben.
     
    Die Dämmerung brach bereits an, als ich mich entschloss. Ja, es wurde langsam dunkel, aber bis Tatjana kam, blieb noch viel Zeit.
    Ich schloss mich im Labor ein und schaltete das Rotlicht ein. Die Fotopapierblätter, auf denen Sascha mich Kontaktabzüge des Mikrofilms zu machen veranlasst hatte, lagen eingerollt und verzogen auf dem Fußboden. Sie waren blassschwarz: Sascha hatte mich daran gehindert, ein Fixierbad zu verwenden, er wollte sich lediglich vergewissern, dass ihm in die Hände gefallen war, was er brauchte.
    Obwohl es in meiner Kehle schon kratzte, steckte ich mir eine Zigarette an und hob eines der Blätter auf. Darauf war natürlich nichts richtig zu erkennen, aber jetzt wusste ich, was für Dokumente Baibikow seine zwei Kugeln eingebracht hatten, weswegen die ganzen blutigen Auseinandersetzungen entbrannt waren. Mit diesen Dokumenten konnte man gutes Geld verdienen, sich ein gutes Auskommen
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