Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Retuscheur

Der Retuscheur

Titel: Der Retuscheur
Autoren: Dimitri Stachow
Vom Netzwerk:
ab!« Mit einer schnellen Bewegung wischte er sich über die Lippen, entfernte den Speichel, der sich in den Mundwinkein angesammelt hatte. »Außerdem habe ich ausgespielt. Vom Dienst suspendiert haben sie mich, morgen, übermorgen werden sie mich ganz rausschmeißen.«
    Nein, er war nicht betrunken, machte jedoch den Eindruck, als hätte er seit seinem Verschwinden aus der Wohnung meines Vaters den ganzen Tag gesoffen.
    »Auch du, Miller, hast übrigens ausgespielt. Weißt du, warum? Soll ich es sagen?« Er holte wieder seine Schachtel heraus, steckte sich eine Zigarette in den Mundwinkel.
    »Sag’s.« Ich gab ihm Feuer.
    »Es gibt da einige Dokumente.« Er machte ein paar rasche Züge, musste husten und wischte sich die Tränen weg, während er fortfuhr:
    »Öde, schrecklich öde Dokumente. Aber wenn sie jemand in die Finger kriegt, der herausfindet …«
    »Was für Dokumente?«
    »Oh! Es hat geklickt! Ich will’s dir sagen. Lass mir nur Zeit. Nachweise, Ein- und Auszahlungsscheine, Kopien von Kontoauszügen. Ein einfacher, harmloser Mensch wischt sich damit den Hintern, ein anderer dagegen, der komplizierter strukturiert, gewitzter ist, wird sie lesen. Lesen und erkennen – er hat eine Waffe in der Hand. Eine schreckliche Waffe. Schrecklich in erster Linie dadurch, dass sie ihn selbst in Schwulitäten bringen kann. Ehe er dazu kommt, sich ihrer zu bedienen. Verstehst du?« Er sah sich nach einem Aschenbecher um, und da er keinen entdeckte, drückte er seine Kippe auf einem Foto Baibikows aus.
    »Nein«, sagte ich.
    »Richtig«, er nickte billigend, »so musst du antworten. Wer dich auch fragt, wohin man dich auch bestellt, halte daran fest: Ich weiß nichts, habe keine Dokumente gesehen, und wo sie abgeblieben sind, weiß ich natürlich erst recht nicht. Aber« – er zog noch eine Zigarette aus der Schachtel heraus – »der Haken ist, dass man dich nirgendwohin bestellen wird. Sie werden selbst zu dir kommen. Und dich windelweich dreschen, dass du vergisst, wie du heißt. Dir deine Eier an die Ohren hängen. Und du wirst alles sagen. Und die schönen Dokumente rausrücken. Aber …!«
    Mit einem Wink bat er um Feuer. Ich warf ihm mein Feuerzeug hin, und er zündete sich mit gekränkt vorgeschobener Unterlippe seine Zigarette an.
    »Aber es wird schon zu spät sein«, fuhr er fort und gab mir das Feuerzeug zurück. »Selbst wenn du die Dokumente hergibst, bist du geliefert. Peng – und aus! Verstehst du?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Kannst du noch was anderes sagen, du Dämel?! Nein, nein, nein, nein! Wie ein Papagei!« Er brannte mit seiner Zigarette in ein zweites Foto Baibikows ein Loch. »Man will dir helfen, und du …!«
    »Ich brauche keine Hilfe«, sagte ich. »Ich helfe mir selbst!«
    »So siehst du aus! Von wegen!«
    Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Es war klar, dass dieser Mann einen Entschluss gefasst hatte.
    »Heute, nachdem in der Frühe Herr Maxim Baibikow umgelegt worden ist, hat eine neue Ära begonnen«, sagte er. »Die Ära der neuen Leute. Nicht deswegen, weil unsereins als Bulle in die Pfanne gehauen worden ist. Nicht deswegen, weil sie mich, meinen Chef und den Chef meines Chefs zum Teufel gejagt haben. Wie auch den Staatsanwalt. Sondern deswegen, weil es jetzt niemanden mehr interessiert, wer Herrn Baibikow umgelegt hat. Niemanden! Übrigens – könntest mir ein Käffchen anbieten!«
    Ich stand auf und ging in die Küche. Er kam mir nach. Während ich die Kochplatte einschaltete, Kaffee in das türkische Kaffeegefäß füllte und ihn brühte, schwieg er. Auch ich schwieg – ich versuchte zu begreifen, was er wohl von mir wollte, wozu er hergekommen war, ging alle möglichen Varianten durch. Doch ich hatte den Glatzkopf unterschätzt.
    »Die Killer sind nicht unbemerkt entkommen«, sagte er, während er beobachtete, wie das Wasser zu sieden begann. »Ihren Verletzten haben sie erschossen und sich seiner am Badajew-Werk entledigt, doch schon im Hof sind sie von mindestens sechs Leuten gesehen worden. Auch von dir natürlich. Ja, ja! Dein Auto stand dort, in dem Hof, dich hat man auch gesehen, wie du gerade in dem Moment dort eingetroffen bist, als die Killer das Haus verließen. Die Nachricht, dass ich vom Dienst suspendiert werde, kam, als ich im Begriff war, dich, mein Freund, vorzuladen. Jetzt kann ich auf alles pfeifen, die Zeugen habe ich vernommen, in dem Bericht, den ich meinem Nachfolger hinterlassen habe, steht von dir kein Wort. Keine Bange! Du hast Zeit.«
    Ich füllte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher