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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler
Autoren: Max Landorff
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in der Steuersache Gabriel Tretjak tätig. Behauptete sie jedenfalls. Könnten Sie mal nachsehen, ob Sie einen Vorgang finden, der mit dieser Steuerprüfung zu tun hat?«
    »Ja, sicher.«
    Gritz hatte längst auf einem Besucherstuhl vor ihrem Schreibtisch Platz genommen.
    »Gabriel Tretjak, Sankt-Anna-Platz. Nein, es gibt keine Steuerprüfung gegen ihn. Nichts. Er ist nie auffällig gewesen. Aus steuerlicher Sicht ein völlig unbescholtener Mann.«
     
    Als Gritz das Finanzamt verließ, konnte er es nicht erwarten zu telefonieren. Er tippte Malers Nummer, er hatte ihn unter
Chef
eingespeichert.
    »Ja, was gibt’s?«, meldete sich Maler.
    Gritz ignorierte die belegte Stimme von Maler und legte gleich los: »Es gibt was Neues, Chef. Die Fiona Neustadt ist keine Finanzbeamtin. Sie muss was ganz anderes sein.«
    »Wie bitte?«, fragte Maler.
    Gritz erzählte ihm von seinem Besuch im Finanzamt, von der richtigen Frau Neustadt und dass es gar keine Steuersache Tretjak gab. Er beendete seine Ausführungen mit einer Frage: »Chef, was machen wir jetzt?«

3
    Weißt du, wie oft ich nach dir gefragt habe? Plötzlich bist du nicht mehr zu uns gekommen, und sie taten alle so, als hätte es dich nie gegeben. Niemand sprach mehr von dir, jedenfalls nicht in meiner Anwesenheit. Mir wurde nur knapp gesagt, du seiest im Ausland. Einmal hörte ich durch eine offene Tür, wie ein Mann, ein Russe, der mit Akzent sprach, meinen Vater fragte: »Kann es sein, dass Gabriel uns alle betrogen hat?« Die Antwort meines Vaters konnte ich nicht verstehen, weil er die Tür geschlossen hat.
     
    Sie ging den Weg hinunter, der von der Kirche auf die Piazza Roma führte und teilweise aus Treppen bestand. Die Boote, die in dem kleinen Hafen lagen, waren schon mit Planen abgedeckt. Die Kirchturmuhr schlug jetzt zweimal, halb sieben Uhr also. Ein metallisches Donnern kündigte den Abendzug an, der von Luino nach Locarno fuhr. Die Gleise verliefen wie die Straße auch am Seeufer entlang, hier im Ort knapp oberhalb der Piazza zwischen der Kirche und dem steilen Berg, der sich über den See erhob. Sie blieb auf dem Platz stehen, einen Moment unschlüssig, und schließlich setzte sie sich auf eine Bank unter einen Khakibaum schräg gegenüber des Eingangs zum Hotel. Der Zug hatte jetzt die Höhe des Platzes erreicht und machte viel Lärm. Bestimmt schon zum dritten Mal überprüfte sie in den Taschen ihres Anoraks, ob alles vorhanden war, was sie in den nächsten Minuten brauchen würde. Sie dachte an ihren Vater und musste lächeln. Am Ende war er immer der Sieger geblieben, auch damals. Und bei ihr würde es genauso so sein. Sie war die Beste, das wusste sie. Wieder musste sie lächeln. Das hatte sie sogar schriftlich. Amtlich.
     
    Du hast meiner Familie die Angst gebracht. Ich habe meinen Vater nie mit so viel Angst gesehen. Weißt du, dass ich einen Schal von dir hatte? Du hattest ihn mal vergessen, und ich hab ihn stibitzt. Kaschmir, mit deinem Geruch daran. Glaub mir, ich hab jedes Molekül da rausgeschnüffelt von deinem Geruch, bis nur noch ein fernes Echo davon übrig war, und ich hab den Stoff so geliebt und so gehasst, jeden Abend bin ich damit eingeschlafen, aber nicht tagelang, nicht wochenlang. Jahre, verstehst du? Die Liebe kann Brücken bauen, heißt es doch. Unsinn. Obwohl … Jetzt baut sie ja gerade eine, oder? Du liebst mich doch, sagst du. Du glaubst mir doch. Ich hab dir die Mörderin serviert. Die Beweise. Deshalb hast du sie hierherbestellt. Was machst du grade mit ihr? Ändern Menschen ihren Geruch im Laufe ihres Lebens? Das hab ich mich gefragt, als ich dich getroffen habe. Ich hab deinen Geruch nicht wiedergefunden. Aber dann in deinem Badezimmer am Sankt-Anna-Platz, da war er plötzlich wieder da, er hing in den Handtüchern, in den Schränken, im Bademantel – und ich wäre beinahe ohnmächtig geworden.
     
    Sie blickte hinüber zum Hotel. Außer in der Eingangshalle und im leeren Restaurant brannte nur in einem Zimmer Licht, ganz oben im vierten Stock am Eck des Gebäudes. Die Vorhänge waren zugezogen. Offenbar interessierten sich die beiden nicht für den Blick auf den See, der im Halbdunkel matt schimmerte. Sie brauchte eine Weile, bis sie registrierte, dass das Geräusch, das in der Abendluft lag und sich mit den Motorengeräuschen der vorbeifahrenden Autos mischte, ihr Telefon war. Diese Nummer gab es noch nicht lange, kaum jemand hatte sie, und der Ton war noch ungewohnt. Sie kramte das Handy hervor, blickte auf die
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