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Der Rat der Zehn

Titel: Der Rat der Zehn
Autoren: Jon Land
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neuer Bauten, die entlang des Strandes aus dem Boden schossen, und der Lastwagen, die sich durch die schmalen Küstenstraßen schlängelten, ablenken, bis einem auffiel, daß mehr als das Leben an einem vorüberging.
    Doris Kaplan spürte, wie das Fahrwerk des Flugzeuges ausgefahren wurde. Dann hörte sie Sophie nach Luft schnappen.
    »Da steht es«, murmelte Sophie, mit einem zitternden, knochigen Finger auf ihr Tarotkartenarrangement deutend. »Genau wie ich dachte.« Ihr Gesicht war schneeweiß, als sie sich zu Doris umdrehte. »Etwas Schreckliches wird passieren. Die Karten sagen es.«
    »Gut«, antwortete Doris sanft. »Du hast seit Nassau mit den verdammten Dingern gespielt. Wie lange hast du für diese Kombination gebraucht?«
    »Es ist Schicksal, sage ich dir, Schicksal. Eine Warnung.«
    »Es ist eher eine Frage der Wahrscheinlichkeit.«
    Sophie schmollte und wandte ihre Aufmerksamkeit ihren adrett geordneten Kartenreihen zu. Sie konzentrierte sich auf eine Karte, die oben rechts als der Tod markiert war. Auf der anderen Seite des Ganges wurde das letzte Romméspiel durch eine Stewardeß unterbrochen. Sie bestand darauf, daß alle Serviertische in ihre senkrechte, sichere Position gebracht werden mußten.
    »Aber ich brauche nur noch eine Karte«, bettelte Fannie. »Eine einzige Karte.«
    Die Stewardeß lächelte so höflich wie möglich. »Es tut mir leid.«
    Sylvia hatte schon die Gelegenheit genutzt, die Karten einzusammeln und den Tisch zurückschnappen zu lassen. Fannie ließ ihre sicheren Gewinnkarten auf den Flugzeugteppich flattern, drehte sich weg und öffnete trotzig ihren Sicherheitsgurt. Falls ein plötzliches Abbremsen sie nach vorn werfen würde, geschähe es der verdammten Flugzeuggesellschaft nur recht.
    Doris konnte sich nur wundern, wie sich eine Frau wie Fannie so lange in einem Geschäft, in dem Verschwiegenheit und Diskretion über alles ging, halten konnte. Sie glaubte, daß Fannie schon lange ihren Freunden alles ausgeplaudert hätte, wären nicht die einzigen Freunde, die sie hatte, ihre drei Begleiterinnen in diesem Flugzeug. Für die übrigen war es nicht anders. Alles, was die Großmütter hatten, waren sie selbst, war ihre Beziehung zueinander, und meistens war ihnen das genug.
    Das erste Mal hatten sie sich vor acht Jahren in Miami South Beach in dem heruntergekommenen Appartementhaus, das sie als ihr Heim zu sehen versuchten, getroffen. Sie hatten sich nicht darüber beklagt, was es bedeutet, fast siebzig und verwitwet zu sein und mit einem schmalen Einkommen auszukommen, von dem nie genug übrigblieb, um irgend etwas in Ordnung zu bringen, von den Zähnen vielleicht mal abgesehen. Nicht lange danach waren die Kubaner gekommen und verwandelten sie in Gefangene von wackligen Liegestühlen, die vor einem Swimming-pool mit gleichbleibend grünem Wasser standen, das nach zuviel Chlor stank. Es war einfach nicht fair. Sie hatten lange genug gelebt, um etwas Besseres zu verdienen. Jedenfalls hatte Doris sich das während der letzten fünf Jahre ständig vorgebetet, und bis vor kurzem hatte diese Rechtfertigung auch standgehalten.
    Doris hatte ihr Bestes getan, keine Gewissensbisse wegen der Trips zu bekommen, die sie und die anderen Großmütter dreimal im Jahr auf die Bahamas unternahmen. Sie hatten es schließlich verdient – oder etwa nicht? Selbst Gott würde es verstehen, wenn er lange genug von Stuhlreihen mit spanischer Musik, wie sie sich über die Collins Avenue erstreckten, umgeben wäre.
    Doris' Ehemann Sam war viel zu jung im Alter von zweiundfünfzig durch einen Herzanfall gestorben. Es war am sechzehnten Loch des Golfplatzes für Mitglieder des Westchester Country Clubs in New York passiert, zehn Minuten nachdem er über unberechenbare Winde geklagt und zwei Minuten nachdem er seinen Ball zwanzig Fuß näher zum Grün geschlagen hatte. Doris übernahm seine Fabrik, und nach ein paar Monaten lief sie besser, als es sich Sam je hatte träumen lassen. Aber ein Feuer zerstörte alles außer einem Safe, der lediglich die Versicherungspolice enthielt, die Sam hatte verfallen lassen.
    Und die Schicksalsgöttinnen waren mit Doris noch immer nicht fertig. Sie schickten einen betrunkenen Fahrer zwei Jahre später in einer regnerischen Nacht in den Kombiwagen ihres Schwiegersohnes. Ihr Schwiegersohn starb sofort, aber es dauerte noch zwei Jahre, bis die Ärzte sie davon überzeugten, daß das Gehirn ihrer Tochter ein statisches Bild auf dem Monitor erzeugte und die Maschine
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