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Der Rat der Zehn

Titel: Der Rat der Zehn
Autoren: Jon Land
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roch das zu süße Parfüm, mit dem sie sich selbst zu dieser frühen Stunde überschüttet hatte. Sie und Sophie machten jeden Morgen genau um neun Uhr einen Spaziergang. Es mußte also dann gewesen sein, als sie …
    »Mrs. Kaplan?«
    Doris drehte sich nach links und sah einen übergewichtigen Mann, der ein Sportjackett mit einer Marke am Revers trug.
    »Ich bin Sergeant Nickerson, Mrs. Kaplan. Mrs. Mehlmann informierte uns, daß Sie kommen würden.«
    Doris befreite sich von Sylvia. Als Sylvia versuchte, sich wieder an sie zu hängen, faßte Doris sie fest bei den Schultern. »Ich bin gleich wieder zurück.« Sie ging zu Sergeant Nickerson, ohne sich darum zu kümmern, daß sie es versäumt hatte, Make-up aufzutragen, und seufzte. »Wie ist es passiert?«
    »Die Ärzte sind jetzt bei ihr«, berichtete Nickerson. »Wir glauben, es war ein Herzanfall. Wir sind uns fast sicher. Hatte sie Herzprobleme?«
    »Können Sie mir eine sechsundsiebzigjährige Frau nennen, die keine hat? Ja, Sergeant, sie hatte leichte Probleme. Nichts Dramatisches.«
    »Es passierte, während sie schlief, Mrs. Kaplan. Es ging schnell.«
    »Wo ist sie?«
    »Nun, Mrs. …«
    »Ich möchte sie sehen.«
    Sergeant Nickerson hatte begonnen zu widersprechen, aber er unterbrach sich und nickte. »Im Schlafzimmer. So, wie wir sie fanden.«
    Es gab keine Absperrungen, keine uniformierte Polizisten auf der Treppe oder auf dem Weg in Sophies Schlafzimmer. Jedenfalls war es keine Kriminalszene. Es war schlicht und einfach die Untersuchung eines natürlichen Todes. Doris erreichte die Tür zu Sophies übergroßem Schlafzimmer und sah hinein. Die Vorhänge waren immer noch zugezogen. Zwei Männer beugten sich über den aufgerichteten Körper ihrer Freundin, die vor so kurzer Zeit behauptet hatte, die Tarotkarten prophezeiten, daß etwas Schreckliches passieren werde. Einer der Männer notierte etwas, während der andere eine flüchtige Untersuchung durchzuführen schien. Doris trat ein, ohne sich anzukündigen, und ging zum Fußende des Bettes, von wo aus sie ihre Freundin deutlich sehen konnte.
    Bei dem Anblick griff sie sich ängstlich an ihr eigenes Herz und dachte daran, daß sie ihre Lebenspillen in ihrem Zimmer neben dem Wasserglas zurückgelassen hatte. Der Tod hat nie eine schöne Seite. Sophies Augen und Mund waren geöffnet, eine verzerrte Maske eingefrorener Agonie, die ihren letzten Schmerzmoment für immer festhielt. Ihre Augen sahen eingefallener aus, als Doris sie je gesehen hatte. Sie war auf dem Rücken liegend gestorben. Doris hörte das Summen der Klimaanlage und roch das süße Lavendel, das Sophie im Raum versprüht hatte.
    »War es ein Herzanfall?« fragte Doris.
    Die Männer an Sophies Bett schienen sie zum ersten Mal zu bemerken.
    »Ja«, sagte einer von ihnen gleichgültig und zog seinen Arztkoffer vom Nachttisch.
    »Schließen Sie ihre Augen nicht?«
    »Wie bitte?« fragte der andere.
    »Ihre Augen. Schließen Sie sie nicht?«
    Die beiden Ärzte sahen sich an und zuckten die Achseln. Einer von ihnen lehnte sich herüber und schloß Sophies Augenlider.
    Doris war es peinlich, sich eingemischt zu haben, darauf bestanden zu haben, daß ihre Freundin nicht mit offenen Augen zurückgelassen wurde. Als ob das jetzt noch zählte. Es schien einfach falsch zu sein. Alles erschien ihr falsch, aber erst ein paar Minuten nachdem zwei Männer von der Ambulanz Sophie auf eine Krankentrage gelegt und aus dem Haus gerollt hatten, wurde Doris klar, was vor allem falsch war.
    Auf Sophies Nachttisch hatte kein Glas Wasser gestanden.
    Doris war den größten Teil der Fahrt zu Fannies Haus in North Palm wie benommen. Sie war ohnehin eine langsame Fahrerin in ihrem Alter, unfähig, sich vorzustellen, aufgrund eines Unfalls ihren alten Mercedes gegen ein neues Modell ersetzen zu müssen, und heute erreichte sie nur durch das Hupkonzert hinter ihr eine Geschwindigkeit von fast dreißig.
    Kein Glas Wasser auf Sophies Nachttisch …
    Aber was hieß das schon. Doris hatte nie wirklich dort ein Glas Wasser stehen sehen, oder? Alles, wovon sie ausgehen konnte, waren Sophies Behauptungen, daß sie niemals ohne ein solches Glas in Reichweite schlief. Vielleicht hatte es einer der Polizisten ungeschickt umgeworfen und das Glas dann ins Bad zurückgebracht. Er hätte damit nicht einmal ein Beweisstück beseitigt, da es sich ja nicht um eine Morduntersuchung handelte. Es war erst drei Tage her, daß Sophie im Flugzeug in ihre Tarotkarten geschaut und den Tod
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