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Der Rat der Zehn

Titel: Der Rat der Zehn
Autoren: Jon Land
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»Was ist mit mir?«
    »Geh fort. Nimm Trelanas Angebot an. Nimm deine Freundin, baut euch ein neues Leben auf. Vergiß all das Zeug von Liebe und Haß – nichts davon bedeutet etwas. Die Welt ist nicht unbedingt ein besonders angenehmer Ort, und es war dein Pech, dies auf eine etwas aufdringlichere Weise als die meisten zu erfahren. Ich war anfangs der Meinung, ich hätte vor fünf Jahren versucht auszusteigen, weil meine Ansprüche zu hoch waren. Aber dann stellte ich fest, daß es so etwas wie Ansprüche überhaupt nicht gab. Es ist eine Tretmühle, Drew, und wenn sich das Tempo beschleunigt, tut man sein Bestes, um mitzuhalten. Man überlebt – das ist der Zweck, der einzige Zweck.«
    Drew schüttelte den Kopf. »Das kaufe ich dir nicht ab. Mit dem Überleben hast du sicherlich recht, aber ich kann nicht ein neues Leben auf der Person aufbauen, die ich einmal war. Meine Vergangenheit hat vor sieben Wochen begonnen, und eine Gegenwart habe ich überhaupt nicht. Alles, was ich habe, ist eine Zukunft, und ich bin nicht wirklich sicher, was für mich am besten ist. Aber ich weiß, ein neuer Name und eine andere Sozialversicherungsnummer allein sind nicht die Lösung.«
    »Drew …«
    »Nein, laß mich zu Ende reden. Du meinst, ich solle zurück zu Pam gehen, weil sie mich braucht. Aber so ist das nicht, glaub es mir. Wenn ich Trelanas Angebot annehme, dann ist es nicht so, als ob ich in einer sich zu schnell bewegenden Tretmühle wäre, sondern in einer, die sich überhaupt nicht bewegt. Ich kann nicht zurückblicken; ich kann nur nach vorn schauen.« Seine Augen baten um Rat. »Aber ich brauche ein Ziel, einen Halt.«
    Waymann zögerte. »Was sagt Pam zu alledem?«
    »Wir haben das … nicht ganz ausdiskutiert. Wir haben überhaupt nicht viel diskutiert.« Drew lächelte traurig. »Sie sagte, daß sie mein Macho-Gehabe in eurer typischen Georgetown-Bar und meine Abenteuer im Söldnercamp noch nie ausstehen konnte – aber sie war stolz auf das, was ich in diesen vergangenen Wochen getan habe, als es sich um eine echte Sache handelte und Menschenleben davon abhingen.«
    »Und was hast du gesagt?« Als Drew nichts sagte, ergriff Waymann die Gelegenheit beim Schopfe. »Du hast nichts gesagt, weil es deine Schuld ist, daß sie dort ist, wo sie jetzt ist. Du hast sie mit hineingezogen. Das willst du nicht wahrhaben, und deshalb kehrst du ihr den Rücken zu. Gewöhne dich daran, Junge. In der Welt, in die einzutreten du so entschlossen bist, werden Menschen verletzt, und das verdrängst du, weil es dich sonst auffressen, dich zerreißen würde.«
    »Ich bin bereits eingetreten, Peter, und niemand hat mir dabei viel Spielraum zum wählen gelassen. Ich möchte selbst entscheiden, darin zu bleiben.«
    Aber Waymann gab den Kampf noch nicht auf. »Nein, es läuft alles auf das hinaus, was du gerade sagtest – aber du hast etwas ausgelassen. Du kannst nicht zurückschauen, weil du dich davor fürchtest. Aber so läuft es immer in diesem Geschäft. Man schaut niemals zurück, weil es da zuviel Schmerz gibt. Man nennt das eine eindimensionale Existenz. Zum Teufel, selbst Shane schaute nicht einmal zurück, als das Kind dort am Stadtrand stand und seinen Namen rief.«
    »Es war richtig, was er tat. Das brachte ihn durch.«
    Waymann beugte sich vor und drückte sanft Drews gesunde Schulter. »Ich bin in zwei Wochen wieder zurück. Wenn du dann immer noch dieser Meinung bist, werden wir darüber reden. Ich bin dir zuviel schuldig, als daß ich deine Entscheidung nicht akzeptieren würde, aber gerade weil ich dir soviel schuldig bin, muß ich versuchen, dich zum Nachdenken zu bringen. Ist dir das klar?«
    »Nicht wirklich.«
    »Gewöhne dich daran.«
    Sie standen schweigend am Geländer beieinander. Waymann hatte Drews Bitte erwartet und sich darauf eingestellt. Ebenso Trelana. Er würde in den nächsten beiden Wochen oft darum beten, daß der Junge sich anders entscheiden möge – obwohl er die ganze Zeit wußte, daß dafür wenig Aussicht bestand.
    Beide schauten hinaus aufs Meer, wo im verblassenden Dämmerlicht eine Möwe aufs Wasser hinabstieß, um einen Fisch zu greifen, der sich zu nahe an die Oberfläche gewagt hatte.
    »Es hat sich nicht viel verändert, nicht wahr?« meinte Drew mit leiser Stimme.
    »Nein«, sagte der Timberwolf. »Leider nicht.«
     
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