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Der Professor

Titel: Der Professor
Autoren: John Katzenbach
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hatte diese besondere Schönheit, die Kinder an der Schwelle zum Erwachsenenalter besitzen. War sie fünfzehn? Sechzehn? Er konnte das Alter von Kindern nicht mehr sicher schätzen.
    Sie blickte grimmig geradeaus. Seinen Wagen schien sie nicht einmal zu bemerken.
    Adrian bog in seine Einfahrt ein, blieb jedoch hinter dem Lenkrad sitzen. Das Mädchen legte eine Entschlossenheit an den Tag, die einen besonderen Grund haben musste. Dieser Ausdruck nahm ihn gefangen und weckte seine Neugier. Als sie mit forschem Schritt zur nächsten Straßenecke lief, schaute er ihr im Rückspiegel hinterher.
    Dann sah er etwas, das in dieser ruhigen, entschieden normalen Wohngegend ein wenig aus dem Rahmen fiel. Ein weißer Kleintransporter, so etwas wie ein Lieferwagen, aber ohne das Firmenlogo eines Elektriker- oder Malerbetriebs, fuhr langsam in seine Straße. Am Lenkrad saß eine Frau und auf der Beifahrerseite ein Mann. Das überraschte ihn. Es hätte andersherum sein müssen, doch dann machte er sich bewusst, dass er nur einem sexistischen Klischee aufsaß. Er beobachtete, wie der Lieferwagen das Tempo drosselte, als verfolgte er das Mädchen auf dem Bürgersteig.
    Plötzlich hielt der Wagen an und verstellte Adrian den Blick auf das Mädchen. Es verging ein kurzer Moment, dann fuhr der Transporter plötzlich an und raste um die Ecke. Der Motor heulte auf, und die Hinterräder drehten durch. In dieser friedlichen Umgebung wirkte das Manöver unangemessen gefährlich, und so versuchte er, einen Blick auf das Nummernschild zu erhaschen, bevor es in das letzte Dämmerlicht vor Einbruch der Dunkelheit verschwand.
    Er sah auf den Bürgersteig. Das Mädchen war verschwunden.
    Doch auf der Straße lag die rosafarbene Baseballkappe.

2
    J ennifer Riggins drehte sich nicht sofort um, als der Lieferwagen neben ihr heranfuhr. Sie hatte nichts anderes im Sinn, als zügig zu der Bushaltestelle zu kommen, die ungefähr achthundert Meter weiter an der nächsten Hauptstraße lag. Nach ihrem ausgeklügelten Fluchtplan würde sie der Linienbus ins Stadtzentrum bringen, von wo aus sie mit einem anderen Bus bis zu einem größeren Bahnhof in Springfield etwa dreißig Kilometer weiter fahren würde. Von dort aus konnte sie überallhin. In ihrer Jeanstasche hatte sie über 300 Dollar, die sie sich langsam, aber sicher aus der Handtasche ihrer Mutter oder der Brieftasche des Freundes ihrer Mutter zusammengeklaut hatte. Sie hatte sich damit Zeit gelassen, das Geld im Lauf der letzten vier Wochen gestohlen und in einer Schachtel in einer Schublade unter ihrer Wäsche versteckt. Sie hatte nie so viel auf einmal entwendet, dass es aufgefallen wäre, nur kleine Beträge, die übersehen wurden.
    Sie hatte es sich zum Ziel gemacht, genug Geld zusammenzubekommen, um damit nach New York oder Nashville, vielleicht sogar bis nach Miami oder L. A. zu kommen, und hatte sich bei ihrem letzten Diebstahl am frühen Morgen mit einem Zwanziger und drei Ein-Dollar-Scheinen begnügt, dann aber auch noch die Visa-Karte ihrer Mutter dazugenommen. Bis jetzt war sie sich noch nicht sicher, wohin sie wollte. Hoffentlich irgendwohin, wo es warm war, Hauptsache, weit weg und in eine Gegend, die ganz anders war. Darum kreisten ihre Gedanken, als der Lieferwagen neben ihr heranfuhr und hielt.
Ich kann gehen, wohin ich will …
    Der Mann auf dem Beifahrersitz sagte: »Hey, Miss … kennen Sie sich hier aus?«
    Sie blieb stehen und drehte sich zu dem Mann im Transporter um. Spontan fiel ihr auf, dass er sich am Morgen nicht rasiert hatte und dass seine Stimme für eine so normale Frage seltsam hoch und aufgeregt klang. Außerdem war sie ein wenig gereizt, weil sie sich nur ungern aufhalten ließ. Sie wollte nur schnell von zu Hause, aus dieser spießigen Gegend und der langweiligen kleinen Universitätsstadt weg, außerdem von ihrer Mutter und deren Freund, von der Art, wie er sie ansah, und den Sachen, die er machte, wenn sie alleine waren, weg von ihrer schrecklichen Schule, von ihren Klassenkameraden, die sie hasste und die jeden Tag der Woche über sie ablästerten.
    Sie wollte an diesem Abend möglichst bald in einem Bus sitzen und
irgendwohin
fahren, denn sie wusste, dass ihre Mutter bis ungefähr neun oder zehn Uhr sämtliche Nummern angerufen hätte, die ihr einfielen, und danach vermutlich wie bereits bei früherer Gelegenheit die Polizei verständigt hätte. Jennifer wusste, dass es dann am Busbahnhof in Springfield von Bullen nur so wimmeln würde, also musste sie dort
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