Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache
Autoren: C.J. Sansom
Vom Netzwerk:
Jubelgeschrei bei den Kindern. Der Schütze lächelte und spannte die breiten Schultern.
    »Nicht schlecht!«, rief der Offizier bärbeißig. »Lass dich registrieren!« Der neue Rekrut ging zum Schreiber hinüber und schwenkte triumphierend den Bogen in Richtung der schaulustigen Menge.
    Der nächste war ein hochaufgeschossener, schlaksiger Bursche in weißem Hemd, welcher gewiss noch keine zwanzig Lenze zählte. Er hatte nur einen Ulmenholzbogen und sah bekümmert drein. Er trug, wie mir ins Auge fiel, weder Armschiene noch Fingerschutz. Der Offizier sah voller Ingrimm zu, wie er sich eine verirrte blonde Haarsträhne aus der Stirn strich, sich bückte, einen Pfeil aufhob und ihn einlegte. Mit sichtlicher Mühe spannte er den Bogen und schoss. Der Pfeil flog nicht weit genug, blieb in der Grasnarbe stecken. Durch das Spannen des Bogens war der Bursche aus dem Gleichgewicht geraten und wäre beinah hingeschlagen, ein Umstand, der die Kinder zum Lachen reizte.
    Der zweite Pfeil flog weiter, traf die Puppe in die Seite; der Bursche indes schrie auf, krümmte sich vor Schmerz, hielt sich die blutende Hand. Der Offizier vergalt es ihm mit einem grimmigen Blick. »Da hat wohl einer nicht geübt, wie? Lässt den Pfeil nicht einmal ordentlich von der Sehne. Ab mit dir zu den Pikenieren! So ein hochaufgeschossener Kerl wie du ist uns im Nahkampf von großem Nutzen.« Der Bursche machte ein verängstigtes Gesicht. »Steh nicht da und halt Maulaffen feil!«, blaffte der Offizier. »Du hast noch vier Pfeile übrig. Die Leute wollen lachen.«
    Ich wandte mich ab. Ich war selbst oft genug gedemütigt worden und hatte keine Freude, wenn andere dergleichen erdulden mussten.
    * * *
    Die Blumenfrau stand nicht mehr im Innenhof von Lincoln’s Inn. Ich begab mich in die Kanzlei, wo mein junger Schreiber Skelly in der vorderen Amtsstube einige Anweisungen kopierte. Er saß dicht über sein Pult gebeugt und linste durch seine Augengläser auf das Schriftstück.
    »Drüben in den Feldern findet eine Musterung statt«, erzählte ich.
    Er blickte auf. »Die Trained Bands müssen angeblich tausend Soldaten für die Südküste rekrutieren.« Er sprach leise. »Was glaubt Ihr, Sir, werden die Franzosen wirklich bei uns einfallen?«
    »Ich weiß es nicht, Skelly.« Ich lächelte beruhigend. »Aber dich wird man nicht zum Dienst an der Waffe rufen. Du hast eine Frau und drei Kinder, und ohne Brille bist du doch nahezu blind.«
    »Bei Gott, das hoffe ich, Sir.«
    »Ich bin ganz sicher.« Aber dieser Tage war nichts mehr gewiss.
    »Ist Barak noch nicht zurück aus Westminster?«, fragte ich mit einem Blick auf das leere Schreibpult meines Gehilfen. Ich hatte ihn zum Amtsgebäude des Court of Requests geschickt, wo er einige Protokolle abgeben sollte.
    »Nein, Sir.«
    Ich runzelte die Stirn. »Ich hoffe, Tamasin ist wohlauf.«
    Skelly lächelte. »Er wartet gewiss nur vergebens auf eine Fähre über den Fluss, Sir. Ihr wisst doch selbst, wie viele Lastkähne neuerdings darauf verkehren.«
    »Das mag sein. Barak soll mir Bescheid geben, wenn er kommt. Ich muss mich wieder an die Arbeit machen.« Ich ging in meine Amtsstube, wohl wissend, dass Skelly mich für überängstlich hielt. Doch Barak und seine Frau Tamasin lagen mir sehr am Herzen. Tamasin hatte ihr erstes Kind verloren und war nun im siebenten Monat schwanger. Ich ließ mich seufzend auf meinem Stuhl nieder und nahm die Klagebegründungen zur Hand, die ich zuvor gelesen hatte. Meine Augen wanderten erneut zu dem Brief, den ich an den Rand meines Schreibtisches geschoben hatte. Ich zwang mich, die Augen abzuwenden, doch bald schon schweiften meine Gedanken zu der Waffenschau, und ich musste an die drohende Invasion denken und an die vielen jungen Männer, die in der Schlacht sinnlos zu Tode kämen.
    Ich sah aus dem Fenster und schüttelte lächelnd den Kopf, als ich die lange, dürre Gestalt meines alten Feindes Stephen Bealknap gewahrte, der über den sonnigen Hof schlurfte. Er ging mittlerweile vornübergebeugt, und in seiner schwarzen Barrister-Robe und der weißen Bundhaube erinnerte er an eine gewaltige Elster, die den Boden nach Würmern absucht.
    Im selben Moment hob Bealknap jäh den Kopf und starrte über den Hof, und ich sah Barak auf ihn zuhalten, den ledernen Ranzen über die Schulter geworfen. Ich stellte fest, dass sich der Wanst meines Gehilfen unter dem grünen Wams in letzter Zeit ein wenig wölbte. Auch sein Gesicht wies inzwischen eine gewisse Rundlichkeit auf, die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher