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Der Pfad im Schnee

Der Pfad im Schnee

Titel: Der Pfad im Schnee
Autoren: Lian Hearn
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gehofft…«
    »Sprich nicht davon«, unterbrach sie Kaede. Sie aß den letzten Reis, legte die Stäbchen auf das Tablett und verneigte sich zum Dank für das Essen.
    Shizuka seufzte. »Arai versteht den Stamm nicht richtig, er weiß nicht, wie er organisiert ist, welche Forderungen er an die stellt, die ihm angehören.«
    »Hat er niemals bemerkt, dass du eine vom Stamm bist?«
    »Er wusste, dass ich mich darauf verstehe, Dinge in Erfahrung zu bringen, Botschaften weiterzugeben. Er nutzte mit Vergnügen meine Fähigkeiten, als es darum ging, eine Allianz mit Lord Shigeru und Lady Maruyama zu bilden. Er hatte vom Stamm gehört, doch wie die meisten Leute dachte er, das sei wenig mehr als eine Gilde. Dass der Stamm in Iidas Tod verstrickt gewesen sein sollte, erschreckte ihn zutiefst, obwohl er davon profitierte.« Sie hielt inne und sagte dann ruhig: »Er hat jedes Vertrauen zu mir verloren - ich glaube, er fragt sich, wie er so häufig mit mir schlafen konnte, ohne selbst ermordet zu werden. Nun, wir werden jedenfalls nie mehr miteinander schlafen. Das ist vorbei.«
    »Hast du Angst vor ihm? Hat er dich bedroht?«
    »Er ist mir böse«, antwortete Shizuka. »Er hat das Gefühl, ich hätte ihn betrogen und, schlimmer, hätte ihn zum Narren gemacht. Ich glaube nicht, dass er mir je verzeiht.« Ein bitterer Ton schlich sich in ihre Stimme. »Ich war seine engste Vertraute, seine Geliebte, seine Freundin, seit ich wenig mehr als ein Kind war. Ich habe ihm zwei Söhne geboren. Doch er würde mich sofort töten lassen, wenn Sie nicht da wären.«
    »Ich werde jeden Mann töten, der versucht, dir etwas anzutun«, sagte Kaede.
    Shizuka lächelte. »Wie grimmig Sie aussehen, wenn Sie das sagen!«
    »Männer sterben leicht.« Kaedes Stimme war ausdruckslos. »Durch einen Nadelstich, durch einen Messerstoß. Du hast mir das beigebracht.«
    »Aber ich hoffe, diese Fertigkeiten müssen Sie noch erproben«, entgegnete Shizuka. »Obwohl Sie sich in Inuyama gut geschlagen haben. Takeo verdankt Ihnen sein Leben.«
    Kaede schwieg einen Moment. Dann sagte sie leise: »Ich habe mehr getan, als mit dem Schwert zu kämpfen. Du weißt nicht alles.«
    Shizuka starrte sie an. »Was sagen Sie mir da? Dass Sie es waren, die Iida getötet hat?«, flüsterte sie.
    Kaede nickte. »Takeo hat ihm den Kopf abgeschlagen, aber da war er schon tot. Ich habe getan, was du mich gelehrt hast. Er wollte mich vergewaltigen.«
    Shizuka packte Kaedes Hände. »Lassen Sie das nie jemanden wissen! Keiner dieser Krieger würde Sie am Leben lassen, noch nicht einmal Arai.«
    »Ich empfinde weder Schuld noch Reue«, sagte Kaede. »Nie habe ich etwas getan, was weniger schändlich war. Ich habe mich nicht nur geschützt, ich habe auch den Tod von vielen gerächt: Lord Shigeru, meine Verwandte Lady Maruyama und ihre Tochter und alle die Unschuldigen, die Iida gefoltert und ermordet hat.«
    »Trotzdem, wenn das allgemein bekannt würde, würden Sie dafür bestraft. Männer würden glauben, die Welt steht auf dem Kopf, wenn Frauen nach Waffen greifen und Rache üben.«
    »Meine Welt steht bereits auf dem Kopf«, sagte Kaede. »Dennoch muss ich gehen und Lord Arai aufsuchen. Bring mir…« Sie unterbrach sich und lachte. »Ich wollte sagen, bring mir etwas zum Anziehen, aber ich habe nichts. Ich habe gar nichts!«
    »Sie haben ein Pferd«, entgegnete Shizuka. »Takeo hat Ihnen das graue dagelassen.«
    »Er hat mir Raku dagelassen?« Kaede lächelte, ein richtiges Lächeln, das ihr Gesicht leuchten ließ. Sie schaute in die Ferne, ihre Augen waren dunkel und nachdenklich.
    »Lady?« Shizuka berührte sie an der Schulter.
    »Kämme mir das Haar und schicke Lord Arai eine Nachricht, dass ich ihn sogleich aufsuchen werde.«

    Es war fast völlig dunkel, als sie die Frauengemächer verließen und zum Hauptgästehaus gingen, wo Arai und seine Männer untergebracht waren. Lichter leuchteten vom Tempel her und weiter oben am Hang unter den Bäumen standen Männer mit lodernden Fackeln um Lord Shigerus Grab. Selbst zu dieser Stunde kamen Menschen hierher mit Weihrauch und Opfergaben, stellten Laternen und Kerzen rund um den Stein auf den Boden und suchten Hilfe bei dem Toten, der täglich mehr zu einem ihrer Götter wurde.
    Er schläft unter einer Flammendecke, dachte Kaede und betete lautlos zu Shigerus Geist um Rat, während sie überlegte, was sie zu Arai sagen sollte. Sie war die Erbin von Shirakawa und Maruyama; sie wusste, dass Arai ein starkes Bündnis mit ihr
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