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Der Pfad im Schnee

Der Pfad im Schnee

Titel: Der Pfad im Schnee
Autoren: Lian Hearn
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unterschiedlichen Gründen dem starren Drill zum Gehorsam entkommen, der bei den meisten Kriegerkindern üblich ist. Das gab uns die Freiheit, zu tun, was wir wollten, aber die Älteren unserer Klasse würden uns dafür bezahlen lassen.
    Der Südwind hielt an, das Wetter blieb warm. An unserem Hochzeitstag waren die Kirschblüten voll erblüht, eine Pracht aus Rosa und Weiß. Kaedes Gefolge hatte sich nun mit meinem vereinigt und der höchstrangige Krieger unter ihnen, Amano Tenzo, sprach für Kaede und im Namen des Shirakawaclans.
    Als sie von der Schreinjungfrau nach vorne geführt wurde, sah sie in den roten und weißen Gewändern, die Manami irgendwie für sie beschafft hatte, auf eine zeitlose Art so schön aus wie ein heiliges Wesen. Ich nannte meinen Namen Otori Takeo und berief als meine Zeugen Shigeru und den Clan der Otori. Wir tauschten die rituellen Weinbecher, drei Mal dreifach, und als die heiligen Zweige dargeboten wurden, überschüttete uns ein plötzlicher Windstoß wie ein Schneesturm mit Blütenblättern.
    Das hätte wie ein frostiges Omen wirken können, aber als wir an diesem Abend nach Festessen und Feiern endlich miteinander allein waren, dachten wir nicht an Prophezeiungen. In Inuyama hatten wir uns in einer Art wilder Verzweiflung geliebt, in der Erwartung, vor dem Morgen zu sterben. Aber jetzt, in der Sicherheit von Terayama, hatten wir Zeit, gegenseitig unsere Körper zu erforschen, langsam Genuss zu schenken und zu erfahren - und zudem hatte mich Yuki seitdem einiges über die Liebeskunst gelehrt.
    Wir redeten über unser Leben, seit wir getrennt worden waren, besonders über das Kind. Wir dachten an seine Seele, die wieder in den Kreislauf von Geburt und Tod geschickt worden war, und beteten für sie. Ich erzählte Kaede von meinem Besuch in Hagi und meiner Flucht durch den Schnee. Yuki erwähnte ich nicht und auch Kaede behielt einige ihrer Geheimnisse für sich, denn obwohl sie mir ein wenig über Lord Fujiwara erzählte, erwähnte sie keine Einzelheiten wie den Pakt, den sie geschlossen hatten. Ich wusste, dass er sie reichlich mit Geld und Nahrungsmitteln versorgt hatte, und das beunruhigte mich, denn ich schloss daraus, dass seine Heiratsabsichten wesentlich ernster gewesen waren als ihre. Ich spürte ein leichtes Frösteln im Rückgrat, das eine Vorahnung gewesen sein mochte, aber ich verdrängte den Gedanken, nichts sollte mein Glück schmälern.
    Als ich gegen Morgen aufwachte, lag sie schlafend in meinen Armen. Ihre Haut war weiß, fühlte sich seidig an und war warm und kühl zugleich. Ihr Haar war so lang und dicht, dass es uns beide wie ein Schal bedeckte, es roch nach Jasmin. Mir war sie wie eine Blume auf dem Berg erschienen, völlig außerhalb meiner Reichweite, aber sie war hier, sie war mein. Die Welt stand still in der ruhigen Nacht, als diese Erkenntnis mich durchdrang. Meine Augen brannten von aufsteigenden Tränen. Der Himmel war gütig. Die Götter liebten mich. Sie hatten mir Kaede gegeben.
    Ein paar Tage lang lächelte der Himmel weiter auf uns herab und schenkte uns freundliches Frühlingswetter mit einem sonnigen Tag nach dem anderen. Jeder im Tempel schien sich mit uns zu freuen, von Manami, die uns strahlend vor Entzücken am ersten Morgen Tee brachte, bis zum Abt, der meinen Unterricht wieder aufnahm und mich mitleidlos aufzog, wenn er mich beim Gähnen ertappte. Zahllose Menschen kamen den Berg herauf, um uns Geschenke zu bringen und Glück zu wünschen, genau wie es die Dorfbewohner in Mino getan hätten.
    Nur Makoto schlug einen anderen Ton an. »Mach das Beste aus deinem Glück«, sagte er zu mir. »Ich freue mich für dich, glaube mir, aber ich fürchte, es ist nicht von Dauer.«
    Das wusste ich bereits, ich hatte es von Shigeru gelernt. Der Tod kommt plötzlich, und das Leben ist zerbrechlich und kurz, hatte er zu mir gesagt, nachdem er mir in Mino das Leben gerettet hatte. Niemand kann das ändern, weder durch Gebete noch durch Zaubersprüche. Es war die Zerbrechlichkeit, die das Leben so kostbar machte. Wir empfanden unser Glück umso tiefer, weil uns bewusst war, wie kurz es sein könnte.
    Die Kirschblüten fielen bereits herab, die Tage wurden länger, die Jahreszeit wechselte. Der Winter der Vorbereitung war vorbei; der Frühling wich dem Sommer und der Sommer war die Jahreszeit des Krieges. Fünf Schlachten lagen vor uns, vier Mal würden wir den Sieg davontragen, ein Mal uns geschlagen geben.
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