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Der Pfad im Schnee

Der Pfad im Schnee

Titel: Der Pfad im Schnee
Autoren: Lian Hearn
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mitnehmen.«
    »Lord Arai.« Erst jetzt senkte sie den Blick und verneigte sich.
    Arai befahl Niwa, Vorbereitungen für den nächsten Tag zu treffen, und Kaede verabschiedete sich mit sehr respektvollen Worten. Sie spürte, dass sie die Begegnung gut überstanden hatte; jetzt konnte sie es sich leisten, so zu tun, als verfügte er über alle Macht.
    Schweigend kehrte sie mit Shizuka zu den Gemächern der Frauen zurück. Die Alte hatte bereits die Betten ausgebreitet, half jetzt Shizuka, Kaede auszuziehen, und brachte Nachtkleidung für sie. Dann wünschte sie ihnen gute Nacht und zog sich in den angrenzenden Raum zurück.
    Shizuka war blass und so still, wie Kaede sie noch nie erlebt hatte. Sie berührte Kaedes Hand und flüsterte: »Danke«, doch mehr sagte sie nicht. Als sie beide unter den Baumwolldecken lagen, als Stechmücken um ihre Köpfe surrten und Motten gegen die Lampen flatterten, spürte Kaede den starren Körper der anderen neben sich und wusste, dass Shizuka mit ihrem Kummer kämpfte. Doch sie weinte nicht.
    Kaede legte die Arme um Shizuka und drückte sie wortlos an sich. Sie teilte das tiefe Leid, doch keine Tränen traten ihr in die Augen. Nichts durfte die Kraft schwächen, die in ihr lebendig wurde.

KAPITEL 2

    Am nächsten Morgen standen Sänften und eine Eskorte für die Frauen bereit. Sie reisten gleich nach Sonnenaufgang ab. Kaede dachte an den Rat ihrer Kusine Lady Maruyama und bestieg vorsichtig die Sänfte, als wäre sie so zerbrechlich und kraftlos wie die meisten Frauen, doch sie überzeugte sich, dass die Stallknechte Takeos Pferd herausbrachten, und sobald sie auf der Straße waren, öffnete sie die Vorhänge aus gewachstem Papier, damit sie hinausschauen konnte.
    Dennoch wurde ihr übel. Die schaukelnde Bewegung konnte sie nicht ertragen, und bei der ersten Rast in Yamagata war ihr so schwindlig, dass sie kaum gehen konnte. Den Imbiss mochte sie gar nicht anschauen, und als sie ein wenig Tee trank, musste sie sich sofort übergeben. Sie war wütend über die körperliche Schwäche, die ihr neu entdecktes Stärkegefühl zu untergraben schien. Shizuka führte sie zu einem kleinen Raum im Gasthaus, badete ihr das Gesicht in kaltem Wasser und riet ihr, sich eine Weile hinzulegen. Die Übelkeit verging so rasch, wie sie gekommen war, und Kaede konnte ein wenig rote Bohnensuppe und eine Tasse Tee zu sich nehmen.
    Doch beim Anblick der schwarzen Sänfte wurde ihr wieder schlecht. »Bringt mir das Pferd«, sagte sie. »Ich werde reiten.«
    Der Pferdeknecht hob sie auf Rakus Rücken, Shizuka stieg gewandt hinter ihr auf und so ritten sie den Rest des Morgens dahin, ohne viel zu reden, jede in ihre eigenen Gedanken versunken, doch getröstet durch die Nähe der anderen.
    Hinter Yamagata stieg die Straße steil an. Stellenweise hatte sie Stufen aus großen flachen Steinen. Der Himmel war wolkenlos blau und die Luft warm, doch es gab schon Anzeichen des Herbstes. Buche, Sumach und Ahorn färbten sich golden und zinnoberrot. Schwärme von Wildgänsen flogen hoch über ihnen. Der Wald wurde dichter, still und stickig. Das Pferd ging vorsichtig, mit gesenktem Kopf, während es sich seinen Weg über die Stufen suchte. Die Männer wirkten wachsam und nervös. Seit dem Sturz von Iida und den Tohan war das Gebiet voll von herrenlosen Soldaten aller Dienstgrade, die lieber Banditen wurden, als neue Treueschwüre zu leisten.
    Raku war kräftig und ausdauernd. Trotz Hitze und Steigung zeigte sein Fell kaum dunkle Schweißflecken, als sie an einer kleinen Herberge oben auf dem Pass wieder anhielten. Es war kurz nach Mittag. Die Pferde wurden zum Füttern und Tränken weggeführt, die Männer zogen sich in den Baumschatten um die Quelle zurück und eine alte Frau breitete Matratzen auf dem Boden eines mattenbelegten Raums aus, damit Kaede eine oder zwei Stunden lang ruhen konnte.
    Kaede legte sich nieder, dankbar streckte sie sich aus.
    Das Licht im Zimmer war gedämpft und grün. Riesige Zedern schirmten die grellen Sonnenstrahlen ab. In der Ferne hörte Kaede das kühle Plätschern der Quelle und Stimmen: das leise Gespräch der Männer, gelegentlich unterdrücktes Gelächter, Shizukas Plaudern in der Küche. Zuerst klang Shizukas Stimme hell und klatschsüchtig und Kaede freute sich, dass ihre Begleiterin offenbar wieder guter Laune war, doch dann sprach sie leiser und die Person, mit der sie redete, reagierte ebenso. Kaede konnte nicht mehr verstehen, was sie sagten.
    Nach einiger Zeit war das Gespräch
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