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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg
Autoren: Astrid Fritz
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sein, machte die Juden bei breiten Bevölkerungsschichten zur Zielscheibe von Neid und Hass. Claras Mann Heinrich sagt an einer Stelle des Romans: «Wären die Juden in Basel und anderswo arm und hätte keiner Schulden bei ihnen, würden sie nicht brennen müssen.» Ich folge hier dem historischen Zitat von Jakob Twinger von Königshofen, einem Chronisten des Spätmittelalters, der über die Ereignisse in Straßburg schreibt:
wan werent sü arm gewesen und werent in die landesherren nüt schuldig gewesen, so werent sü nüt gebrant worden
– frei übersetzt: «Wenn sie arm gewesen wären und ihnen die Grundherren nichts geschuldet hätten, so wären sie nicht verbrannt worden.»
    Vermögen und Geldverleih waren das eine, Konkurrenzkampf und soziale Umschichtungen in einer zunehmend instabil werdenden Gesellschaft das andere. Nachdem das Zinsverbot an Bedeutung verlor und sich immer mehr Christen in den Geldhandel drängten, sollten die Juden auch aus diesem letzten lukrativen Betätigungsfeld ausgeschaltet werden. Und vor dem Hintergrund der Handwerkeraufstände gegen das alte Patriziat ließ sich vielerorts der Aufruhr gegen die Juden für die eigenen Interessen verwenden.
    War die Pest also nur eine willkommene Ausrede für das grauenvolle Morden? In fast allen Fällen lassen sich seitens der Obrigkeit Planung und Organisation erkennen, die auf dem Judenhass breiter Bevölkerungsschichten aufbaute undals Hauptziel die Schuldenbefreiung hatte. Am lautesten riefen jene nach Blut, die bei Juden verschuldet waren oder die in ihnen eine lästige Konkurrenz sahen. Und beim Volk, beim «Pöbel», waren die jahrhundertealten religiösen Ressentiments gegenüber den Juden auf fruchtbaren Boden gefallen. Zwar hatte Papst Clemens   VI. in einer Bulle vom 1.   Oktober 1348 noch ausdrücklich gegen die Brunnenvergiftungsvorwürfe Stellung bezogen, doch damit kam er zu spät: Auf der Grundlage des von der Kirche geförderten Judenhasses, als Frucht all jener Schauergeschichten über Hostienschändung und Ritualmorde an Kindern, über Christusmord und Weltverschwörung wurde auch der Fabel von der Brunnenvergiftung bereitwillig Gehör geschenkt – zumal in einer Zeit, in der sich die Menschen zunehmend verunsichert und bedroht fühlten, wo traditionelle Werte verlorengingen, sich das Ende des statischen Mittelalters bereits ankündigte.
    Was trotz aller wirtschaftlichen, sozialen und psychologischen Erklärungsversuche bleibt, ist ein Rest an Fassungslosigkeit über die Abgründe der menschlichen Seele, über die Möglichkeit des Bösen im Menschen. Zugleich drängt sich uns Heutigen ein Vergleich mit dem Völkermord an den Juden während des Nationalsozialismus zwingend auf. Im Gegensatz zu seinen mittelalterlichen Vorfahren allerdings hatte der Mensch des 20.   Jahrhunderts eine Kultur des Humanismus und der Aufklärung hinter sich – was den historischen Betrachter noch weitaus mehr schaudern lässt.
     
    Astrid Fritz
    (weitere Informationen zum Thema unter www.astridfritz.de )

Glossar
    Aborterker
– erkerartiger Abtritt (Toilette) an der Außenseite von Wohntürmen und Burgen
    Aderlassmännchen
– Darstellung menschlicher Figur mit medizinischen und astrologischen Aspekten zum Aderlass
    Alraune
,
Alraunmännchen
– giftige Heilpflanze, die seit der Antike auch als Zaubermittel gilt. Die Wurzel erinnert an eine menschliche Gestalt, daher auch Alraunmännchen
    Ammanmeister
– höchstes Amt im Straßburger Magistrat
    Angelusläuten
– Morgen-, Mittags- und Abendläuten der Kirchenglocken, bei dem das Angelusgebet gebetet wurde. Zugleich für Bürger Einteilung des Tages
    Antoniusfeuer
– auch Brotseuche: qualvolle, oft tödliche Krankheit nach Genuss von durch Mutterkornpilz vergiftetem Getreide. Im Mittelalter recht häufig
    artes liberales
– lat.: freie Künste. Die sieben Studienfächer Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie bildeten das Grundstudium der mittelalterlichen Universität
    Au
– alter Name für Fischer- und Gerberau in Freiburg
    Aussatz, Aussätziger
– Lepra, an Lepra Erkrankter. Die Aussätzigen (auch Feldsieche, Sondersieche) wurden wegen der hohen Ansteckungsgefahr in Leprosen- oder
Gutleuthäusern
vor den Toren der Stadt isoliert
    Baar
– Landstrich zwischen Südschwarzwald und Schwäbischer Alb
    Badschurz, Badehr
– etwa knielanges, leichtes Badehemd
    balbieren
– veraltet: barbieren, rasieren
    Bankert
– Bastard, uneheliches Kind
    Bauhütte
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