Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg
Autoren: Astrid Fritz
Vom Netzwerk:
Urkundenbuch der Stadt Freiburg findet sich für den 23.   Januar 1349 der Eintrag:
do wurden alle die juden, die ze Friburg in Brisgouwe in der stat waren, verbrannt, ane (ohne) kint und tragent frouwen, umb das gros mort und missetat, so sü under einander angeleit hatten.
    Die große Missetat, von der hier die Rede ist, steht für die grauenvolle Heimsuchung durch die Pest. Als Schuldige, als Verursacher der todbringenden Seuche glaubte man hier wie anderswo die jüdischen Mitbürger entlarvt zu haben. Giftbeutel hätten sie in die Brunnen gelegt und damit die tödlichen Dämpfe ausgelöst. So jedenfalls lauteten allerorten die Geständnisse – unter grausamster Folter erpresst.
    Das Große Sterben, von den Chronisten bald schon «Schwarzer Tod» genannt, hatte in den Jahren 1348   –   1352 fast ganz Europa erfasst und nach heutigen Schätzungen rund 25   Millionen Opfer gefordert. Ein Drittel der europäischen Bevölkerung war ausgelöscht worden von einer Krankheit, die man bislang nicht gekannt hatte, gegen die man keinerlei Hilfe wusste bzw. gegen die althergebrachte Therapien wie Aderlass und Kräuterheilkunde, Einläufe oder Brechmittel, ja selbst Zaubersprüche, Amulette und Bußprozessionen wirkungslos blieben. Dieser ersten großen Pestwelle seit der Antike folgten später weitere Epidemien in allen Teilen der Welt, bis endlich um 1900 die Entdeckung des Pestbazillus und seiner Übertragung die Wende im Kampf gegen die Seuche einläutete.
    Die betroffenen Menschen des Spätmittelalters folgten ihren eigenen, für uns heute recht abstrus anmutenden Erklärungsmustern. Ärzte und Heilkundige glaubten fest an die antike Pesthauch-Theorie, an sogenannte giftige Miasmen, die durch Atmen in den Körper dringen und die inneren Organe faulen lassen würden. Diese verpestete Luft entstünde durch Erdbeben und Unwetter, durch Ausdünstungen aus Erdspalten und stehenden Gewässern. Astronomen und Gelehrte vermeinten überdies Ursachen in unheilvollen Konstellationen der Gestirne und atmosphärischen Störungen zu erkennen. Die Kirche schließlich sah die Pestilenz als Gottesfluch, als Strafe für die Sündhaftigkeit der Menschheit, bald schon als Vorbote des Antichristen und damit des Weltenendes. Von da aus war es nur noch ein kleiner Schritt zu einer allumfassenden, allen einleuchtenden Ursachenbestimmung: Die Juden, als Werkzeug des Teufels, hätten die Pest über die Lande gebracht, hätten in einer Weltverschwörung allerorten die Brunnen und Quellen vergiftet, um die Christenheit auszulöschen.
    Mit diesem Giftvorwurf hatte man ein Argument gefunden, das sich nun ebenso rasch ausbreitete wie die Pest selbst und das der sozial und religiös ausgegrenzten Minderheit der Juden zum tödlichen Verhängnis wurde. Schon lange hatte man sie einer Verschwörung gegen die Christenheit verdächtigt. Ausgestattet mit Bildung und vielerlei Kenntnissen gerade auch in der Medizin, hielt man sie ohne Zögern für fähig, ein derartiges Gift zu bereiten und gezielt auszustreuen. Der in seiner Gesamtheit absurde Gedanke der Brunnenvergiftung bestand also aus einzelnen Komponenten, die jede für sich durchaus glaubhaft waren.
    Dass der Einzelne wie die menschliche Gemeinschaft dazu neigt, sich einen Sündenbock zu suchen, ist in der Geschichtenichts Neues. Auch dass man zu Pestzeiten auf die Juden als Sündenböcke zurückgriff, ist hinreichend bekannt. Weit weniger bekannt hingegen ist, dass man die Juden mordete,
bevor
die Seuche die eigene Region überhaupt erreicht hatte. Einer dieser populären Irrtümer der Geschichte ist es, zu glauben, dass erst das unermessliche Leid, das die Große Pest über die Menschen brachte, die Gesellschaft in jenen psychischen und physischen Ausnahmezustand geraten ließ, in dem Mitleid und Menschlichkeit verlorengingen. Auch waren es nicht irgendwelche fanatisierte Christen wie die Geißlerbruderschaften oder die wandernden Bettelmönche, die den braven Bürger zum Morden erst aufgestachelt hätten. Die Reihenfolge war vielmehr fast immer umgekehrt: Man ging gegen die Juden als vermeintliche Brunnenvergifter an, ehe es ein einziges Pestopfer gab. Die Flagellanten dann tauchten zumeist erst kurz vor Ausbruch der Seuche auf (und brachten die Pest nicht selten mit sich!), bis am Ende die eigene Stadt, das eigene Dorf von der Pestwelle überrollt wurde. «Die Juden werden hingerichtet, und die Pest kommt hernach trotzdem», beschreibt es der Altgeselle Daniel in meinem Roman.
    Zudem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher