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Der Pate von Florenz

Der Pate von Florenz

Titel: Der Pate von Florenz
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Becher an seine Lippen und trank ihn in einem Zug leer.
    Er hatte den Becher noch nicht wieder abgesetzt, da spürte er schon die Wirkung des tödlichen Giftes. Das Gefäß entglitt seiner Hand und zerschellte am Boden. Er griff sich mit verzerrtem Gesicht an die Kehle und begann zu röcheln.
    Er wollte aufstehen, doch er schwankte so sehr, dass er sich am Tisch festzuhalten versuchte. Sandro fuhr hoch und fing ihn auf. Tränen strömten über sein Gesicht, während er den zuckenden Körper seines Enkelsohnes in seinen Armen hielt. »Es wird gleich vorbei sein! Sei tapfer! Nur noch wenige Augenblicke, mein Junge!«, stieß er voller Seelenqual hervor. »Verzeih mir, aber dir die Qualen der Folter und die öffentliche Hinrichtung zu ersparen ist alles gewesen, was ich für dich tun konnte! Der Herr ist mein Zeuge! Meinen rechten Arm hätte ich für dich gegeben, wenn Lorenzo dir dafür das Leben gelassen hätte … Gleich, mein Junge! Gleich wirst du erlöst sein …«
    Ein entsetzlich gurgelnder Laut entrang sich der Kehle seines sterbenden Enkelsohnes. Sandro würde ihn bis ans Ende seiner Tage nicht vergessen. Er sollte ihn in unzähligen Albträumen verfolgen. Ein letztes Aufbäumen folgte, dann lag Silvios Körper endlich still und von allem irdischen Schmerz befreit in seinen Armen.
    Mit einem gellenden Schrei abgrundtiefer Verzweiflung, der die beiden Leibwächter vor dem Haus bis ins Mark erschauern ließ, sank Sandro mit seinem toten Enkel auf die kalten Fliesen. All seine Qual, dass er sein eigen Fleisch und Blut hatte töten müssen, lag in diesem fürchterlichen Schrei, der irgendwann in ein Wimmern überging.
    Nicht einmal in geweihter Erde durfte er Silvio begraben! Er würde seinen Leichnam oberhalb des jungen Weinberges verscharren müssen, wie einen räudigen Hundekadaver. Von diesem geheimen Grab würde Carmela nie etwas erfahren. In fünf oder sechs Wochen würden sie einen zweiten Brief aus Genua erhalten, in dem man ihnen mitteilte, dass Silvio Fontana auf der Überfahrt nach England bei einem schweren Sturm über Bord gegangen und ertrunken sei.
    Drei Männer hatte er mit seinem Geld aus dem Schuldgefängnis freigekauft und sie davor bewahrt, im Kerker langsam dem Tod entgegenzusiechen. Aber dass er diesen Menschen das Leben gerettet hatte, würde niemals die Schuld aufwiegen, die er in dieser Stunde auf sich geladen hatte. Dass er gar nicht anders hätte handeln können, minderte seine Schuld nicht, das wusste er.
    An diesem Tag war ihm mit entsetzlicher Deutlichkeit klar geworden, dass er für seinen Aufstieg zu Reichtum, Ehre und Einfluss einen hohen Preis gezahlt hatte. All die Jahre lang hatte er sich von der Macht des Hauses Medici blenden und bestechen lassen und den Herren von Florenz nicht nur seine treuen Dienste verkauft, sondern letztlich auch sein Gewissen – und seine Seele.
    »Herr, wo bist du?«, stieß Sandro unter Tränen hervor, gepackt von einem tiefen inneren Grauen vor sich selbst, während er Silvios Leichnam in seinen Armen wiegte. »Jesus Christus, unser Herr und barmherziger Erlöser, sei meiner verdorbenen Seele gnädig!«
EPILOG
    Marcello saß auf der gepolsterten Fensterbank und lehnte sich weit aus dem Fenster seines Zimmers, das zur Via di Mezzo hinausging. Warm lag die Sonne auf seinem Gesicht, das in den Wochen seines Ringens mit dem Tod so schmal geworden war. Noch ein, zwei Tage und dann war er endlich wieder kräftig genug, um das Elternhaus für einen kleinen Spaziergang zum Fluss hinunter zu verlassen.
    Das Kantholz des Rahmens drückte schmerzhaft gegen seine Brust, aber es kümmerte ihn nicht. Er wollte unbedingt die Straße vor ihrem Palazzo im Auge behalten. Jeden Augenblick musste Fiora dort drüben aus der schmalen Seitengasse auftauchen und die Via di Mezzo heraufkommen! Und das wollte er nicht versäumen.
    Aber noch viel sehnsüchtiger fieberte er dem Augenblick entgegen, wenn er sie in seinen Armen halten, ihre Lippen küssen und ihr dann sagen konnte, dass sie schon bald nicht nur seine Ehefrau, sondern auch seine Lehrmeisterin sein würde!
    Gleich! Gleich würde sie kommen! Der Hausdiener, den er zu Fiora geschickt hatte, war schon zurück und hatte ihm mitgeteilt, dass sie sich sofort zu ihm auf den Weg machen würde, so wie sie ihr Kleid gewechselt hatte.
    Marcello konnte noch immer nicht recht glauben, dass ihr beider Traum nun doch in Erfüllung ging. Aber was sie so lange für unmöglich gehalten hatten, war nun doch Wirklichkeit geworden.
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