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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden
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die Beine baumeln. »TV21 durchlief ein paar Veränderungen, als der Absatz sank. 1968 – bei Band 192 – wurde die Zeitschrift mit einem anderen Titel namens TV Tornado zusammengelegt und brachte mehr Material, das nicht von Anderson stammte. Dann, nach Band 242, wurde sie mit dem Joe90-Comic vereinigt, und so begann eine zweite Serie mit Nummer eins.«
    »Bei der letzten Ausgabe, an die ich mich erinnere, war George Best auf dem Titel. Woher weißt du das alles?«
    »Ich habe mich damit beschäftigt.« Er hob die Schultern. »Man kann sich die Vergangenheit wieder aneignen, weißt du. Sie kolonisieren. Es gibt immer neue Sachen herauszufinden. Um die Erinnerungen zu strukturieren.« Er seufzte. »Aber für TV21 ist es mit der Zeit immer schwerer geworden. In den Achtzigern gab’s mal eine Welle des Interesses…«
    »Als unsere Generation in die Dreißiger kam.«
    Peter grinste. »Schon alt genug für Nostalgie, noch jung genug für irrationale Begeisterung und wohlhabend genug, um etwas zu unternehmen. Aber jetzt sind wir schon in den Vierzigern und…«
    »Und entwickeln uns zu abgefuckten alten Arschlöchern, und niemand interessiert sich mehr für solche Sachen.« Und, dachte ich, wir werden einer nach dem anderen von der Demografie abgeschossen wie von einem erbarmungslosen Heckenschützen. Ich schaute die Comics durch, betrachtete die knallbunten Panels, die futuristischen Fahrzeuge und leuchtenden Uniformen. »Das einundzwanzigste Jahrhundert ist ganz anders geworden, als ich es mir vorgestellt habe, so viel steht fest.«
    Peter sagte zögernd: »Aber es ist ja noch nicht vorbei. Hast du das hier gesehen?« Er hielt sein Handy hoch, ein komplexes neues Spielzeug von Nokia, Sony oder Casio. Ich kannte es nicht; ich interessiere mich nicht für solche technischen Spielereien. Aber auf dem Bildschirm leuchtete ein helles Bild, eine Art Dreieck. »Ist gerade reingekommen. Das Neueste über den Kuiper-Gürtel. Die Anomalie.«
    Zwei Tage nach der Entdeckung wusste wahrscheinlich jeder Mensch auf Erden, der einen Fernsehapparat in Reichweite hatte, dass der Kuiper-Gürtel eine lose Wolke aus Kometen und Eiswelten ist, die das Sonnensystem umgibt; sie erstreckt sich vom Pluto fast bis zum nächsten Stern. Und eine Gruppe von Astronomen hatte diese eisige Region mit Radar oder dergleichen untersucht und dabei etwas Ungewöhnliches entdeckt.
    Peter erklärte mit ernster Miene, das Bild auf seinem Schirm sei kein echtes Bild, sondern aus komplizierten Radarechos rekonstruiert worden. »So wie man die DNA-Struktur aus der Beugung der Röntgenstrahlung rekonstruiert.«
    Der kleine Monitor schimmerte hell in der Dunkelheit des Dachbodens. »Es ist ein Dreieck.«
    »Nein, es ist dreidimensional.« Er tippte auf eine Taste, und das Bild drehte sich.
    »Eine Pyramide«, sagte ich. »Nein – vier Flächen, allesamt Dreiecke. Wie nennt man das?«
    »Ein Tetraeder«, sagte Peter. »Aber es ist so groß wie ein kleiner Mond.«
    Im kalten Halbdunkel überlief mich ein Schauer. Ich kam mir sonderbar abergläubisch vor. Es war ohnehin schon eine ziemlich schreckliche Zeit für mich, und jetzt gab es auch noch seltsame Lichter am Himmel. »Ein künstliches Gebilde?«
    »Was sonst? Die Astronomen sind völlig aus dem Häuschen geraten, weil sie gerade Kanten entdeckt haben. Und jetzt sehen sie das hier.« Seine hellen Augen leuchteten und spiegelten den blauen Lichtschein des kleinen Bildschirms. »Natürlich sind nicht alle derselben Ansicht. Einige meinen, es sei nur ein Artefakt der Signalverarbeitung und es gebe dort nichts als Echos… Es heißt, dass man eine Sonde hinschicken will. Wie Pluto Express. Aber sie könnte Jahrzehnte brauchen, um dorthin zu gelangen.«
    Ich schaute auf die Comics hinunter. »Sie sollten die Fireball schicken«, sagte ich. »Steve Zodiac wäre in ein paar Stunden da.« Auf einmal legte sich ein Schleier vor meine Augen, und ein großer, schwerer Tropfen klatschte von meiner Nase auf ein farbiges Panel. Ich wischte ihn hastig weg. »Scheiße. Entschuldige.« Aber jetzt bebten meine Schultern.
    »Ist schon gut«, sagte Peter ruhig.
    Ich rang um Selbstbeherrschung. »Verdammt, ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich weinen würde. Nicht wegen eines verdammten Comics.«
    Er nahm meinen noch vollen Becher und ging die Treppe hinunter. »Lass dir Zeit, so viel du willst.«
    »Ach, verpiss dich«, sagte ich, und das tat er.
     
    Als ich meinen Weinkrampf überwunden hatte, kletterte ich mühsam vom
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