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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden
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Gestank ab.
    Wahrscheinlich versuche ich zu kompensieren. Ich verbringe einen Großteil meiner Zeit allein, in meinem Zimmer oder auf Spaziergängen in den Hügeln, die über den Dörfern und Städten aufragen. Aber ein Teil von mir verspürt noch immer eine überwältigende Sehnsucht danach zurückzukehren, erneut in die warme, taktile Ordentlichkeit der Koaleszenten einzutauchen. Es ist eine unerfüllte Sehnsucht, die mir vermutlich bleiben wird, bis ich sterbe.
    Wie seltsam, dass mich die Suche nach meiner eigenen Familie zu solchen Mysterien führte – und dass sie mit dem Tod begann und auch endete.

 
2
     
     
    Es begann wahrhaftig in einer für jedermann seltsamen Zeit. Die Meldung von der Kuiper-Anomalie, dem sonderbaren neuen Licht am Himmel, war soeben erschienen. Man muss in London sein, wenn so eine Story herauskommt, eine jener bedeutsamen Nachrichten, die das Leben verändern und die man mit seinen Freunden an den Trinkwasserspendern im Büro, in den Pubs und Coffee Bars besprechen und bis ins Kleinste durchkauen will.
    Aber ich musste heim, nach Manchester. Familiäre Pflichten. Ich hatte meinen Vater verloren. Ich war fünfundvierzig.
    Das Haus meines Vaters – mein Elternhaus – stand in einer kurzen Straße identischer Vororteigenheime: eine nette, kleine Doppelhaushälfte mit einem Fleckchen Rasen vorn und hinten. An einem strahlend hellen Septembermorgen stand ich in der Auffahrt und gab mir Mühe, mich nicht von meinen Gefühlen überwältigen zu lassen; ich versuchte, wie ein Fremder zu denken.
    Als diese kleinen Häuser in den Fünfzigern gebaut worden waren, nicht lange vor meiner Geburt, mussten sie den Menschen im Vergleich zu den Rücken an Rücken stehenden Reihenhäusern der Innenstadt begehrenswert erschienen sein, und tausendmal besser als die Hochhausblocks, die in ein paar Jahren folgen würden. Aber jetzt, im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts, wirkte das Mauerwerk schnell hingehauen und billig, die kleinen Rabatten waren eingesunken, und die Außenanlagen, wie zum Beispiel die verputzten Ytongsteine am Rand der Auffahrten, zerbröckelten teilweise. Vom ursprünglichen Charakter der Straße war nicht mehr viel übrig geblieben. Es gab doppelt verglaste Kunststofffenster, neu gedeckte Dächer und wieder aufgemauerte Schornsteine, Zimmer mit Flachdach über den Garagen, und an der Vorderseite des Hauses gegenüber waren sogar zwei kleine Wintergärten angebaut, um die Südsonne einzufangen. Nach beinahe fünfzig Jahren waren die Häuser mutiert und hatten sich auseinander entwickelt.
    Auch die Menschen hatten sich verändert. Früher einmal war dies eine Straße voller junger Familien gewesen, wo wir Kinder uns Spiele ausgedacht hatten, die wir nur unterbrachen, wenn hin und wieder einmal ein Auto von der Hauptstraße einbog. Ein Wagen pro Haus damals, Morris Minors, Triumphe und Zephyre, die gut in die kleinen Garagen passten. Jetzt war alles voller Autos; sie verstopften jede Auffahrt und parkten in zwei Reihen am Straßenrand. Mir fiel auf, dass man einige der kleinen Gärten umgegraben und asphaltiert hatte, um noch mehr Platz für die Autos zu schaffen. Nirgends war ein Kind zu sehen, überall nur Autos.
    Aber mein Zuhause, mein altes Zuhause, unterschied sich von den anderen.
    Unser Haus hatte noch die originalen Ziehharmonika-Garagentüren aus Holz und die kleinen Holzfenster, ja sogar den Erker an der Stirnseite des Hauses, in dem ich immer gesessen und meine Comics gelesen hatte. Aber das Holz war abgesplittert und rissig, vielleicht sogar verrottet. Der alte Efeu, ein extravagantes grünes Gekritzel auf der Vorderseite des Hauses, war längst verschwunden, aber ich sah die verwitterten Narben im Mauerwerk, wo er sich festgeklammert hatte. Wie schon zu Lebzeiten meiner Mutter – sie war vor zehn Jahren gestorben – hatte mein Vater nur die allernotwendigsten Renovierungsarbeiten erledigt. Er war fast sein ganzes Leben für die Baubranche tätig und somit der Ansicht gewesen, er habe die Woche über schon genug mit Bauen und Renovieren zu tun gehabt.
    Eine der wenigen Verbeugungen vor den modernen Zeiten, die ich sah, war das silberne Kästchen einer Alarmanlage, das auffällig an der Stirnseite des Hauses klebte. Der letzte Einbruch bei Dad lag schon ein paar Jahre zurück. Er hatte ihn erst einige Tage später bemerkt – das säuberlich aufgebrochene Schloss der Garagentür, das eingeschlagene Fenster des Wagens, den er selten fuhr, und die hübsch gerundete
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