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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden
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Dachboden hinunter. Ich nahm nur den Rechenschieber und die Logarithmentafeln mit. Eigentlich hatte ich in der tröstlichen Gewissheit in mein Hotel im Stadtzentrum zurückfahren wollen, dass ich zumindest die Sperre durchbrochen hatte, zumindest im Innern des Hauses gewesen war und dass nichts, was ich noch zu Tage fördern würde, mich dermaßen quälen konnte.
    Aber Peter hatte noch eine weitere Überraschung für mich parat. Als ich die Treppe herunterkam, sah ich, wie er sich mit einer Pappschachtel unter dem Arm eilig zur Tür hinaus verdrücken wollte.
    »Hey«, blaffte ich.
    Er blieb stehen, schaute auf komische Weise schuldbewusst drein und versuchte tatsächlich, die verdammte Schachtel hinter seinem Rücken zu verbergen.
    »Wo willst du damit hin?«
    »Tut mir Leid, George. Ich wollte nur…«
    Sofort wurde mein eingewurzeltes Misstrauen gegen Peter, den Schulspinner, wieder wach. Vielleicht wollte ich auch nur knallhart erscheinen, nachdem ich vor ihm geweint hatte. »Du hast gesagt, du würdest keine persönlichen Dinge anfassen. Was ist das da, Diebstahl?«
    Er schien zu zittern. »George, um Himmels willen…«
    Ich schob mich an ihm vorbei und riss ihm die Schachtel aus den Händen. Er sah nur zu, als ich den Deckel abnahm.
    Die Schachtel enthielt einen Stapel Pornohefte. Sie waren vergilbt und gehörten zu den munteren Nudistenblättern wie Health and Efficiency. Ich sah sie rasch durch; manche waren zwanzig Jahre alt, aber die meisten stammten aus der Zeit nach dem Tod meiner Mutter.
    »O verdammt«, sagte ich.
    »Das hätte ich dir gern erspart.«
    »Er hat sie in der Küche versteckt?«
    Peter zuckte die Achseln. »Wer wäre auf die Idee gekommen, dort zu suchen? Er war schon immer clever, dein Dad.«
    Ich grub tiefer in der Schachtel. »Clever, aber ein geiler alter Bock. Das sind alles Pornos – Moment mal.«
    Zuunterst lag ein gerahmtes Bild. Es war ein Farbfoto, sehr alt und so billig, dass die Farben verblichen waren. Es zeigte zwei Kinder von drei oder vier Jahren, die nebeneinander standen und aus einem längst vergangenen, sonnigen Tag heraus in die Kamera lächelten. Der Rahmen war ein billiges Holzgestell, wie man es auch heute noch bei Woolworth bekommt.
    Peter kam zu mir, um es sich anzusehen. »Das ist das Haus. Ich meine, dieses Haus.«
    Er hatte Recht. Und die Gesichter der Kinder waren nicht zu verkennen. »Das bin ich.« Das Mädchen war eine weibliche Ausgabe von mir – die gleichen Züge, das blonde Haar und die rauchgrauen Augen, aber zarter und hübscher.
    Peter fragte: »Und wer ist das?«
    »Keine Ahnung.«
    »Wie alt ist deine Schwester noch gleich?«
    »Drei Jahre älter als ich. Wer immer das sein mag, Gina ist es nicht.« Ich ging mit dem Foto ans Tageslicht und betrachtete es lange und eingehend.
    In Peters Stimme lag eine gewisse Schärfe. Vielleicht rächte er sich auf subtile Weise für meinen Vorwurf des Diebstahls. »Dann hat dein Vater wohl mehr vor dir verborgen als nur deine Comics.«
    Aus dem Wohnzimmer kam ein Klicken. Es war der Videorecorder. Die Maschinerie des Hauses arbeitete weiter, Uhren und Timer klickten und surrten hirnlos, eine belebte Hülle um den leeren Raum, wo mein Vater gewesen war.

 
3
     
     
    Die Nacht, als das seltsame Licht am Himmel erschien, war der Wendepunkt in Reginas bisher so angenehmem Leben. Im Nachhinein wunderte sie sich oft darüber, wie sehr die großen Ereignisse am stillen Himmel mit den Angelegenheiten der Erde, dem Blut und dem Schmutz des Daseins verbunden waren. Ihr Großvater hätte die Bedeutung eines solchen Omens erkannt, dachte sie. Aber sie war zu jung gewesen, um es zu verstehen.
    Und dabei hatte der Abend so schön, so heiter begonnen.
    Regina war erst sieben Jahre alt.
     
    Als sie hörte, dass ihre Mutter sich für ihr Geburtstagsfest ankleidete, ließ Regina ihre Puppen liegen und rannte jubelnd durch die Villa. Sie hüpfte um drei Seiten des Hofes herum, von dem kleinen Tempel mit dem lararium – wo ihr Vater den drei matres, den Familiengöttinnen, mit verärgerter Miene seinen täglichen Tribut aus Wein und Nahrungsmitteln entrichtete – durchs Hauptgebäude mit dem alten, ausgebrannten Badehaus, das sie auf gar keinen Fall betreten durfte, bis zum Zimmer ihrer Mutter.
    Als sie dort eintraf, saß Julia bereits auf ihrem Sofa und hielt sich einen silbernen Spiegel vors Gesicht. Sie strich sich eine helle Haarlocke aus der Stirn und sagte ein paar leise, gereizte Worte zu Cartumandua, die mit Kämmen
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