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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden
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wieder erzählen, und wenn die Getränke im weiteren Verlauf des Festes ihre Wirkung taten, würde seine tiefe Stimme dann auch mehr Aufmerksamkeit erregen. Zu Beginn des Abends waren die Musikanten jedoch beliebter. Sie spielten eine Mischung britannischer und kontinentaler Instrumente, Knochen- und Panflöten, Harfen, Kitharas und Tibias, und ihre fröhliche Musik wehte wie Rauch durch die reglose Luft.
    Julias Vater – Reginas Großvater – war da. Aetius, ein baumlanger Soldat, war nach Abenteuern im Ausland jetzt an einem geheimnisvollen, magisch klingenden fernen Ort namens der Wall stationiert. Nachdem er zum fünfundzwanzigsten Geburtstag seiner Tochter quer durch die ganze Diözese Britannien angereist war, stampfte er nun in der Villa herum und schimpfte laut über all die Ausgaben. »Es ist, als wäre der Rhein nie zugefroren«, lauteten seine mysteriösen Worte.
    Marcus, Reginas Vater, war ein dünner, ungelenker Mann mit schlicht geschnittenem dunklem Haar und abgespanntem, nervösem Gesicht. Er trug seine Toga. Es erforderte einiges Geschick, dieses formelle Kleidungsstück zu tragen, denn es war sehr schwer, und man musste sich auf die richtige Weise bewegen, damit die Falten natürlich fielen. Da Marcus jedoch nicht daran gewöhnt war, lief er langsam und gewichtig herum, als trüge er einen Anzug aus Blei. Ganz gleich, wie bedachtsam er jeden Schritt tat – und er wagte es nicht, sich hinzusetzen –, die kostbare Toga schleifte über den Fußboden, schlug ihm gegen die Beine und flatterte oder klaffte auf und gab den Blick auf die weiße Tunika darunter frei.
    Aber Marcus trug stolz seine phrygische Mütze mit der nach vorn zeigenden Spitze, die ihn als Anhänger des altmodischen, in der Region jedoch beliebten Kybele-Kults auswies. Vierhundert Jahre nach Christi Geburt war das Christentum die Religion des Imperiums. In den Provinzen blieb es jedoch ein Kult der Städte und Villen; die Menschen auf dem Land, die den größten Teil der Bevölkerung stellten, hingen weiterhin ihren uralten, heidnischen Bräuchen an. Sogar in der Elite hielten sich die älteren Kulte. Kybele selbst, eine Muttergottheit, stammte aus Anatolien und war im Gefolge eines Eroberungsfeldzugs nach Rom eingeführt worden.
    Wenngleich Marcus in feiner Gesellschaft immer unbeholfen sein würde, so war Julia durch und durch die Gastgeberin. Über einem langärmeligen Hemd trug sie eine in der Taille gegürtete stola. Der dicke Stoff des leuchtend blauroten Gewands fiel in schweren Falten, und der Überwurf über ihrer Schulter wurde von der wunderschönen Drachenbrosche gehalten. Kein Haar schien am falschen Platz zu sein, und für Regina erhellte sie jeden Raum mehr als alle Bronzelampen und Kerzenständer zusammen.
    Was Regina selbst betraf, so huschte sie durch die Räume und über den Hof, wo die Öllampen und Kerzen wie herabgefallene Sterne glommen. Cartumandua, die strikte Anweisungen hatte, was Regina essen und trinken durfte (erst recht seit dem berüchtigten Vorfall mit dem Gerstenbier), folgte ihr auf Schritt und Tritt. Wohin Regina auch kam, überall bückten sich Leute, um sie zu begrüßen. Die Gesichter der Frauen waren von einer dicken Puderschicht überzogen, die der Männer schmierig vom Schweiß und den Wirkungen von Wein oder Bier, aber alle lächelten und machten ihr Komplimente über ihre Haare und ihr Kleid. Sie saugte all die Aufmerksamkeit auf, während sie ihre lateinischen Verse oder Gebete an Christus vortrug und zur Musik tanzte. Eines Tages, das wusste Regina, würde sie eine ebenso vornehme und elegante Dame sein wie ihre Mutter; sie würde ihr eigenes Gefolge von Sklavinnen haben – keine derart ungeschickten und bleichen wie Cartumandua, so viel stand für sie fest – und bei ihren eigenen Festen selbst im Mittelpunkt stehen. Diese Feste würden mindestens genau so üppig sein wie die ihrer Mutter und vielleicht sogar in dieser Villa stattfinden. Und als der Abend nun in die Nacht überging, wünschte sie nur, sie könnte die Sonne wieder über den Horizont zerren, um die gefürchtete Stunde des Zubettgehens noch ein wenig hinauszuschieben.
    Doch dann nahm ihr Großvater sie beiseite. Er ging mit ihr durch die Falttür am Ende des Speisesaals hinaus auf die Terrasse inmitten der Reihen von Apfelbäumen und Himbeersträuchern. Der geflieste Boden bröckelte, aber der Blick über die Landschaft war wunderschön. Der Himmel wurde dunkler, und die ersten schwachen Sommersterne bohrten sich durchs
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