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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden
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Kopf. Mir wurde bewusst, dass ich Peter noch keine einzige Frage gestellt hatte, die ihn selbst betraf – was er nach der Schule gemacht hatte, seine gegenwärtigen Lebensumstände. »Und du?«
    »Ich habe nie geheiratet«, sagte er schlicht. »Ich war Polizist – wusstest du das?«
    Ich grinste unwillkürlich. Peter, der Schultrottel: ein Bulle?
    Offenbar war er diese Reaktion gewohnt. »Es lief prima. Hab’s bis zum Detective Constable gebracht und mich dann vorzeitig pensionieren lassen.«
    »Warum?«
    Er zuckte die Achseln. »Hatte was anderes zu tun.« Ich sollte später herausfinden, was dieses »andere« war. »Hör mal, lass dir helfen. Schau dir den Rest des Hauses an. Ich erledige das hier. Ich kann dir einen Müllbeutel voll machen.«
    »Musst du aber nicht.«
    »Ist schon okay. Ich würd’s gern tun, für Jack. Wenn ich was Persönliches finde, lasse ich die Finger davon.«
    »Du bist sehr feinfühlig.«
    Er zuckte die Achseln. »Du würdest für mich dasselbe tun.«
    Ich war nicht sicher, ob das auch nur andeutungsweise der Wahrheit entsprach, und spürte, wie sich eine weitere Schicht Schuldgefühle auf ohnehin schon komplizierte Schichten häufte. Aber ich sagte nichts mehr.
    Ich ging nach oben. Hinter mir hörte ich ein leises Piepsen, das Kükengeschrei von Peters Handy, das seine Aufmerksamkeit einforderte.
     
    Das Schlafzimmer meines Vaters.
    Das Bett ungemacht, die Laken zerknittert, eine Delle im Kissen, wo sein Kopf gelegen hatte. Ein hüfthoher Korb, fast voll mit Schmutzwäsche. Auf dem Schränkchen am Bett brannte eine elektrische Lampe; daneben lag ein aufgeschlagenes Taschenbuch, die offenen Seiten nach unten. Eine Churchill-Biografie. Es sah so aus, als wäre mein Vater erst vor einem Moment hinausgegangen, aber dieser Moment war irgendwie eingefroren und wich nun erbarmungslos in die Vergangenheit zurück, ein verblassendes Standbild in einem kaputten Fernseher.
    Ich schaltete die Lampe aus und klappte das Buch zu. Lustlos durchstöberte ich das Zimmer. Ich wusste nicht so recht, was ich tun sollte.
    Die Frisierkommode vor dem Fenster war immer die Domäne meiner Mutter gewesen. Selbst jetzt sahen die aufgereihten Familienfotos – die Überreichung meines Abschlusszeugnisses, lächelnde amerikanische Enkel – genauso aus wie damals, als ich sie zum letzten Mal gesehen hatte, vielleicht wie sie sie hinterlassen hatte. Die Staubschicht hinter den Fotos war dicker, als hätte Dad diese Ecke seit Mutters Tod kaum angerührt. Auf der Platte lag etwas Post – ein paar Rechnungen, eine Karte aus Rom.
    Der Krebs hatte meine Mutter dahingerafft. Sie war immer eine junge Mutter gewesen, gerade neunzehn bei meiner Geburt. Selbst am Ende ihres Lebens war sie mir noch jung erschienen.
    In seiner letzten Nacht hatte mein Vater hier seine Taschen ausgeleert. Er würde sie nie wieder füllen. Ich warf ein schmutziges Taschentuch in den Wäschekorb und fand ein paar Münzen und Notizen, die ich geistesabwesend einsteckte. Durch den Stoff meiner Tasche fühlten sich die Münzen schwer und kalt an. Seine Brieftasche – dünn, nur eine einzige Kreditkarte darin – nahm ich ebenfalls an mich.
    In der Kommode waren zwei kleine Schubladen. In einer lag ein Bündel Post in geöffneten Umschlägen – Briefe meiner Schwester, meiner Mutter, meines jüngeren Ichs. Ich legte sie wieder zurück, eine Aufgabe für später. Die andere Schublade enthielt ein paar Scheckabschnitte, zwei Sparbücher sowie ordentlich abgeheftete Kontoauszüge und Kreditkartenabrechnungen. Ich nahm alles heraus und stopfte es in meine Jackentasche. Ich wusste, dass ich in meiner Prioritätensetzung ein Feigling war: Die abschließende Regelung der finanziellen Angelegenheiten meines Vaters würde mich keinerlei Mühe kosten, das konnte ich auf Autopilot machen, ohne meine Komfort-Zone zu verlassen.
    Im Kleiderschrank hingen Anzüge. Als ich sie durchsah, stieg mir der Geruch von Staub und Kampfer in die Nase. Sie waren für Dads fassförmigen Körper geschneidert und hätten mir nicht gepasst, auch wenn sie nicht betagt, an Ärmeln und Schultern abgewetzt und vom Stil her auf undefinierbare Weise altmännerhaft gewesen wären. Die Hemden hatte er immer ordentlich zusammengelegt und in den flachen Schubladen des Kleiderschranks gestapelt, und dort waren sie nun. Unten im Schrank lagen Lack- und Wildlederschuhe wahllos übereinander: Er hatte seine Hausschuhe getragen, als sie ihn ins Krankenhaus gebracht hatten. Weitere Schubladen
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