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Der normale Wahnsinn - Roman

Titel: Der normale Wahnsinn - Roman
Autoren: Matt Beaumont
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durch die Fensterscheibe hindurch erkennen. Sie trägt einen lockeren grünen Pullover und einen weiten, bestickten Rock, der bis knapp unter die Knie reicht. Und sie wirkt kein bisschen beängstigend auf mich.
    Es ist das Bild meines ganz persönlichen Himmels.
    Ali : Ich erreiche den Laden zwanzig Minuten zu spät. Michele wartet schon, während sie in ihr Handy spricht. Neben ihr auf dem Bürgersteig liegen vier Zigarettenkippen. Als ich bei ihrbin, beendet sie ihr Telefonat und tritt die fünfte mit dem Schuh aus. Dennoch hüllt mich eine nikotingeschwängerte Dunstwolke ein. Nach unserem ersten Termin im Krankenhaus haben Paul und ich mit dem Rauchen aufgehört. »Ihre Chancen werden sich erheblich erhöhen, wenn Sie das Rauchen einstellen«, ließ uns der medizinische Berater wissen. Er hat sich geirrt. Trotzdem haben wir nicht wieder damit angefangen. Und doch liebe ich den Geruch einer qualmenden Zigarette. Aus nostalgischen Gründen, wie ich vermute. So wie ich noch immer den Geruch von Moschus mag. Ich war vierzehn, als ich mit dem Rauchen anfing. Gleichzeitig habe ich begonnen, mich mit Moschus förmlich zu übergießen. Meine Teenagerjahre waren die besten meines Lebens (in meiner Erinnerung daran verblassen sowohl die explosionsartige Akne als auch der lähmende Minderwertigkeitskomplex und der Siebenjährige Krieg mit meiner Mutter), und ich liebe es, wenn mich ein bestimmter Duft oder ein Song wieder in diese Zeit zurückversetzen. Ich frage mich, woran sich Michele erinnern wird, wenn sie mal in meinem Alter ist. Neben Zigarettenqualm riecht sie zumeist nach McDonald’s-Fritten und Hugo Boss. Okay, das beantwortet meine Frage.
    »Tut mir leid, dass ich so spät komme«, sage ich. »Bist wahrscheinlich schon total durchgefroren.«
    »Nein, mir geht’s gut«, sagt sie fröhlich. »Was war denn los?«
    »Oh … Paul hat … hatte seine Autoschlüssel verschlampt. Musste ihm helfen, sie zu suchen.«
    Das beschreibt keineswegs, nicht mal ansatzweise den Sex, den wir hatten. Der gut war, ja, dafür, dass es eine ungeplante Nummer war, grandios. Doch während ich mich noch im Post-Orgasmusrausch räkelte, fragte ich mich auch dieses Mal, was ich mich danach immer frage: Hat er? Hat er mich diesmal wohl geschwängert? Die kleine idiotische, rosarote Seifenblase zerplatzte, als ich mein ruiniertes Camisole auf dem Boden erblickte. Dieser ungeschickte Trottel . Warum konnte er nicht besser aufpassen? Okay, so einen Träger kann man wieder annähen, aber … Erkann manchmal einfach so tierisch nerven. Ich wollte ihn deswegen ein bisschen zusammenstauchen, aber er stand schon unter der Dusche und sang. Und als er zurück ins Schlafzimmer kam, hatte ich mich wieder beruhigt. Und dann haben wir’s wieder getan. Er hat mich einfach über die Frisierkommode gelegt und mir das Ding hart in den Arsch gerammt …
    Ha, ha , ich weiß, Sie würden einiges darum geben, jetzt eine ausführliche Schilderung von Sexpraktiken zu erhalten, neben der sich Die 120 Tage von Sodom lesen wie ein Kinderbuch. Glauben Sie mir, ich auch. Denn was Paul mir in den Hintern gerammt hat, war eine Nadel. Eine Spritze, um genau zu sein. Eine Spritze, die Clomifen in Salzlösung enthielt. Falls Sie sich jetzt wundern: Clomifen ist ein ovulationsauslösendes Mittel. Das heißt, die Eierstöcke werden nach der Verabreichung dazu angeregt, viele, viele kleine Eizellen zur Reifung zu bringen.
    Sie sehen, ich bin weit entfernt vom hemmungslosen Sex-Luder. Bin vielmehr eine ausgemachte In-vitro-Schlampe.
    Tatsächlich hat die IVF in den letzten fünf Jahren mein Leben bestimmt. Und Pauls natürlich auch, so fair muss man sein. Das wäre dann unser wievielter Versuch? Ehrlich, ich hab aufgehört zu zählen. Jedenfalls haben wir unendlich viele Anläufe unternommen. Und jedes Mal stirbt die Hoffnung ein bisschen mehr. Blauäugiger Optimismus verwandelt sich über Realismus zu Zynismus hin zu Verbitterung. Der Prozess geht so schleichend vonstatten, dass man es gar nicht richtig bemerkt.
    Wenn man sich ins Zeug legt, kann man sich alle drei Monate einer IVF-Behandlung unterziehen. Paul und ich haben uns allerdings schon eine ganze Weile nicht mehr ins Zeug gelegt. Uns geht allmählich die Puste aus. Um genau zu sein, mir. Paul fügt sich einfach meinen Wünschen, was sehr lieb von ihm ist, auf Dauer aber auch ganz schön nerven kann. Manchmal sehne ich mich danach, dass er sich einfach mal zu mir setzt und mir ruhig, aber bestimmt sagt, wie er
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