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Der Neue im Sportinternat

Der Neue im Sportinternat

Titel: Der Neue im Sportinternat
Autoren: Thomas Mindt
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Dieses Verhalten trifft alle sehr viel mehr!
    Leon hat keinerlei Zweifel daran, dass sein Vater Henri ebenfalls zu ihm rüberblickt und nach wie vor felsenfest davon überzeugt ist, dass er die einzig richtige Entscheidung getroffen hat. Phillip wird ihn darin bestätigen. Seine Mutter wird vermutlich noch heute abreisen und die kommenden Tage in Paris verbringen. Happy Family! Leon kann es nicht fassen, dass sie schweigend vor dem großen Haus stehen und ihn so verabschieden - und das ausgerechnet an seinem 16. Geburtstag!
    Der Tag hätte so schön sein können. Doch statt Konfettiregen, einem Geburtstagskuchen und Freunden, die zum Feiern kommen, wird Leon gegen seinen Willen in ein Internat geschickt. Was für ein wunderschönes Geburtstagsgeschenk! Dass sein Vater ihn aus der vertrauten Umgebung reißt und ihn seiner Freunde beraubt, das will Leon niemals verzeihen. Das hat er sich geschworen! Denn nicht er hat einen Fehler begangen, sondern sein Vater. Aber den kann Leon unmöglich bestrafen. Obwohl sein Vater eine Strafe verdient hätte, wie Leon findet. Wiekann ein Mensch sich über Gefühle eines anderen so sehr hinwegsetzen und Entscheidungen gegen dessen Willen treffen? Das ist unmenschlich und grausam! Leon hätte es nicht für möglich gehalten, dass sein eigener Vater ihm so fremd sein könnte. Andererseits ist das so verwunderlich nicht.
    Dass ein Gefühl bei seinem Vater eine derartig übertriebene Reaktion auslösen kann, darin erkennt Leon eine eindeutig irrationale Angst. Ein anfängliches Entsetzen hätte Leon dem ersten Schock zugute halten können, das geht gewiss vielen Eltern so. Aber was ist schon schlimm daran, wenn ein Mann einen anderen Mann innig küsst? Leon kann nichts Schlechtes darin erkennen, im Gegenteil! Einen anderen Mann zu küssen, das ist wie der Moment, wenn an einem wunderschönen Sommermorgen die Sonne an einem hellblauen Himmel aufgeht und die Schönheit eines Tages beginnt. Einen anderen Mann in seinen Armen zu halten und dessen Herz ganz nahe am eigenen zu spüren, erweckt in der Seele ein neues Gefühl, das die tiefe Erkenntnis birgt, dass man nicht allein ist auf der Welt, auch wenn man sich an unzähligen Tagen im Leben genauso fühlt. Dessen ist sich Leon ganz sicher!
    Claude hat das Gepäck verstaut und schließt den Kofferraum. Während er zur Autotür geht, zupft er seinen dunklen Anzug zurecht. Auch ein Chauffeur ist eitel! Die letzten Sekunden eines Lebensabschnitts sind für Leon angebrochen. Er schaut zu den Bäumen, die wie Soldaten aufgereiht die Auffahrt zum Haus säumen. Zwischen jedem Baum ist der Abstand bis auf wenige Zentimeter absolut gleich. Fast scheint es Leon, als stünden die Kirschbäume Spalier für ihn, um auf vertraute Art und Weise Lebewohl zu sagen. Es ist Ende April. Dieses Jahr wird er die Bäume nicht in voller Blüte bestaunen können. Mit ihren weißen und roten Blüten lassen sie die Auffahrt immer so prächtig aussehen. Als kleiner Junge hat sich Leon bei dem Anblick oft wie Krümel aus dem Roman Die Brüder Löwenherz von Astrid Lindgren gefühlt.
    Leon ist sich bewusst, dass dieser Moment viel mehr als nur ein Abschied ist. Dem Leben schenke ich meine Liebe, und der spießigen Gesellschaft erkläre ich den Krieg!, denkt er. Emotionale Anarchie im positiven Sinne/orever!
    Claude steigt in den Mercedes, schnallt sich an und wirft einen flüchtigen Blick in den Rückspiegel. Er lässt den Motor an und fragt: »Willst du ihnen nicht zum Abschied zuwinken?«
    »Nein!«, antwortet Leon kurz und knapp.
    »Und weshalb hast du dann die Scheibe runtergelassen?«
    »Damit sie sehen, dass ich nicht flenne und am Boden zerstört bin! Darauf wartet mein Vater doch nur. Den Gefallen tu ich ihm nicht und das wird ihm den Tag versauen. Sein Pech! Ich mach keinen auf Psycho, der hündisch ergeben zu Kreuze kriecht und um Vergebung bettelt. Ich habe nichts Falsches getan! Soll er mich doch ans Kreuz schlagen! Der lebt doch noch im düsteren Mittelalter. In Sachen Liebe glaubt er allen Ernstes, die Welt sei eine Scheibe. Unfreiwillig hab ich ihm gezeigt, dass die Welt der Liebe rund ist. Rund wie ein Arsch von Rodin! Woher hätte ich wissen sollen, dass ihm bei der Erkenntnis ein Ei ausläuft?!«
    »Du sprichst nach wie vor von deinem Vater, oder?«
    »Vater. Despot. Tyrann. Imperator. Alleinherrscher. Schulmeister. Unterdrücker. Der Idiot hat viele Namen!«
    »Wir fahren jetzt los. Willst du's dir nicht noch mal überlegen, Leon? Wink wenigstens
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