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Der neue Frühling

Der neue Frühling

Titel: Der neue Frühling
Autoren: Robert Silverberg
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vergangenen Zeiten hatte er sich oft niedergedrückt gefühlt von dem gewaltigen, unabwägbaren Gewicht der Vergangenheit der Welt. Jetzt hingegen fühlte er die erfrischende Weite der Zukunft: ihre unendlichen Möglichkeiten, dieses Mehr an Künftigem im Vergleich zu dem Vergangenen, eine Welt ohne Ende, viele Schwierigkeiten, viele Triumphe, viele Wunder, von denen niemand noch je geträumt, die niemand – selbst nicht in den größten Hochzeiten der Vergangenheit – sich hätte vorstellen können. Die Welt mochte zwar uralt sein, aber sie war zugleich auch immer neu und jung. Und das Beste sollte erst noch kommen.
    Er war auf dem Podium angelangt und blieb stehen, um die Begrüßung der Stadtgrößen entgegenzunehmen.
    Es war ein Augenblick, in dem alle vollkommen bewegungslos, wie zu einem feierlichen Zeremonialtableau erstarrt herumstanden. Thu-Kimnibol hielt noch immer Niallis Hand, als er sich gegen alle verneigte. Sollte er zuerst sprechen, erwarteten sie dies von ihm? Nein, das erste Wort war sicherlich Sache des Häuptlings. Er blieb stumm. Taniane hielt in beiden Händen die dunkelglänzende Koshmar-Maske. Es sah so aus, als wolle sie sie nun aufsetzen. Keiner sonst bewegte sich.
    Schließlich hob Taniane an zu sprechen. Ihre Stimme schwankte ein wenig. »Die Götter haben dich, Thu-Kimnibol, sicher in die Heimat geführt. Wir freuen uns und jubeln über deine siegreiche…«
    Und auf einmal ein plötzliches heftiges Getümmel, bestürzend und überraschend. Husathirn Mueris Gestalt war hinter Taniane aufgetaucht und stürzte sich auf Thu-Kimnibol. In der hochgereckten linken Hand blitzte ein Dolch.
    Im gleichen Augenblick stürmte Chevkija Aim die drei Stufen herauf, die von den unteren Rängen zur Tribüne der Notablen führten, und lief von der Seite her zu Husathirn Mueri. Auch er schwang einen Dolch.
    »Edle! Vorsicht!« schrie der Gardehauptmann. »Er ist ein Verräter!«
    Und eine Sekunde später waren Husathirn Mueri und Chevkija Aim mitten auf dem Podium in einen verzweifelten Kampf verwickelt. Thu-Kimnibol, zu verblüfft, als daß er sich hätte bewegen können, sah die Waffen in der Sonne blitzen. Ein grunzender Laut der Pein. Ein erschreckend starker Blutstrahl schoß aus Chevkija Aims Brust und rann über seinen goldenen Beng-Pelz. Er taumelte nach vorn, seine Arme zuckten konvulsivisch, sein Dolch wirbelte über die Plattform und fiel fast direkt vor Tanianes Füßen nieder. Mit wildverzerrtem Gesicht fuhr Husathirn Mueri herum und ging erneut Thu-Kimnibol an. Doch Nialli trat blitzschnell zwischen sie, gerade als Husathirn Mueri zum Stoß ansetzte.
    Er gaffte sie wie vom Blitz getroffen an und bremste den Stoß, bevor er sie treffen konnte. Sein Blick wurde glasig, als hätte ihn der lähmende Fluch der Götter getroffen. Mit einem lauten Verzweiflungsstöhnen wich er vor ihr zurück, senkte den Arm und ließ die Waffe aus den plötzlich kraftlosen Fingern gleiten. Inzwischen war es Thu-Kimnibol in dem Durcheinander gelungen, an Nialli vorbeizukommen, und er wollte ihn gerade angreifen. Doch Husathirn Mueri hatte bereits kehrtgemacht und taumelte wie in geistiger Verwirrung nach hinten auf Taniane zu, die Chevkija Aims Waffe aufgehoben hatte und sie nun verwundert betrachtete.
    »Edle…«, stammelte er mit verquollener Stimme. »Edle… Herrin… vergib mir…«
    Thu-Kimnibol streckte die Hände nach ihm aus. Taniane wies ihn mit einer Geste zurück. Sie starrte Husathirn Mueri an, als wäre er eine Gespenstererscheinung.
    Mit dumpfer schmerzlicher Stimme sagte er: »Die Ermordung Kundalimons habe ich arrangiert. Und ich bin auch schuldig am Tod Curabayn Bangkeas – und an all dem Elend und Gram, die darauf folgten.«
    Mit einem Schluchzen der Verzweiflung stürzte er sich auf sie, als wolle er sie umarmen. Ohne Zögern hob sich Tanianes Arm und führte einen einzigen scharfen kraftvollen Stoß gegen seinen Brustkorb. Husathirn Mueri richtete sich steif auf und holte keuchend Luft. Mit den Händen an seiner Leibesmitte taumelte er einige Schritte von ihr fort. Einen Moment lang stand er vollkommen bewegungslos da, hochgereckt auf den Spitzen seiner Zehen. Aus dem Mund sickerte ihm Blut über die Lippen. Er machte einen taumelnden Schritt auf Nialli Apuilana zu. Dann stürzte er neben dem Leichnam Chevkija Aims nieder. Er zuckte einmal, dann bewegte er sich nicht mehr.
    »Wachen! Wachen!« brüllte Thu-Kimnibol.
    Er packte Nialli mit einer Hand, Taniane mit der anderer und stieß sie
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