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Der neue Frühling

Der neue Frühling

Titel: Der neue Frühling
Autoren: Robert Silverberg
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einem Bethaus einfand.
    »Der Tag der Offenbarung ist gekommen«, sang der Priesterknabe. »Es ist aber der Tag, an dem die Siegel aufgebrochen werden und das Buch geöffnet, und die Geheimnisse werden an den Tag gebracht, und es gibt die Tiefe preis all ihre Geheimnisse. Dies ist der Tag der Königin, die da ist unsere Tröstung und unsre Lust.«
    … unsere Tröstung und unsre Lust, respondierte die Gemeinde automatisch, und Husathirn Mueri mit ihnen.
    »Sie ist das Licht und der Pfad«, kreischte Tikharein Tourb und gab dabei hjjkische Krächzlaute von sich. Und die Gemeinde klickte und krächzte ihr Echo.
    »Sie ist die Essenz und die Substanz.«
    Essenz… Substanz…
    »Sie ist der Anfang und das Ende.«
    … Anfang… Ende…
    Chhia Kreun trug grüne Zweige nach vorn, und Tikharein Tourb hob sie hoch in die Luft.
    »Der Tag ist da, geliebte Freunde, an dem der Wunsch und Wille der Königin verkündet wird. Dies ist der Tag, an dem sich IHRE Liebe uns allen deutlich und spürbar zeigen will. Es ist der Tag, an welchem der Drachen die Dunkelsterne verschlingt und das Licht neugeboren wird. Und SIE wird mitten unter uns sein, denn SIE ist unsere Tröstung und unsre Lust!«
    Sie ist unsere Tröstung und unsre Lust.
    »Sie ist das Licht und der Pfad…«
    Husathirn Mueri respondierte wie alle anderen, wiederholte pflichtgemäß aufs Stichwort die Phrasen; doch heute waren die Worte für ihn nichts weiter als leere Hülsen. Vielleicht waren sie ja nie etwas anderes gewesen. Seine sogenannte Bekehrung zur Religion – eigentlich hatte er sie selber nie so richtig verstanden. Irgendwie hatte er sich selber ausgetrickst, sich vorgemacht, ihm sei da ein Schimmer von etwas Erhabenerem als er selber zugänglich geworden, von etwas Größerem, in dem er sich selbst verlieren könnte. Ja, das war es wohl gewesen. Sein Verstand und seine Seele waren jedenfalls in diesem Augenblick anderswo. Er vermochte an nichts anderes als an Thu-Kimnibol zu denken, wie er ruhmreich und umjubelt durch das Bauernland im Norden der Stadt näherkam, der heimkehrende Kriegsheld, der sich stolz mit irgendeinem Sieg schmückte!
    Ein Sieg? Was hatte der Mann denn erreicht? Hatte er die Hjjks besiegt? Hatte er die Königin erschlagen? Nichts dergleichen schien auch nur entfernt möglich. Dennoch war ihm die Kunde vorangeflogen: Der Krieg ist aus! Es wurde Frieden geschlossen! Dank der heroischen Bemühungen von Thu-Kimnibol und Nialli Apuilana… und so weiter und so fort…
    Was ihn aber über alle Maßen gallig giftete: Durch irgendeinen seltsam gemeinen Taschenspielertrick des Schicksals war die unerreichbare Nialli Apuilana vom eigenen Oheim, dem Halbbruder ihres Vaters, zur Paarungsgefährtin genommen worden, von dem Mann, den Husathirn Mueri verabscheute wie keinen sonst in Dawinno. Bei der Vorstellung dieser Begattung glaubte er, er müsse ersticken. Ihr glatter seidenweicher Leib an dem riesenhaften borstigen Mannskerl… Seine Hände an ihren Schenkeln, ihrer Brust… und ihre Sensor-Organe auf höchst-intime Art umschlungen…
    Nein! Schluß damit! Er befahl sich, nicht mehr an die beiden zu denken. Das führte nur zu Selbstquälerei und Verzweiflung. Er rang um sein inneres Gleichgewicht. Doch sosehr er sich mühte, es wollte keine Ruhe in ihn einkehren. Seine Gedanken wirbelten. Es war ja schon übel genug gewesen daß sie sich diesem Hjjk-Abgesandten hingegeben hatte… aber dann von Kundalimon zu Thu-Kimnibol weiterzuwechseln! Es war unvorstellbar! Unerträglich! Monströs! Dieser gewaltige Klotzbrocken und Muskelprotz! Und noch dazu ihr leiblicher Gevatter!
    Husathirn Mueri schloß die Augen. Er mühte sich, durch Gedanken an die Königin, die All-Liebende, die Wohltäterin, die quälenden bildhaften Vorstellungen von Nialli mit Thu-Kimnibol zu verdrängen, doch er konnte sich einfach nicht auf das konzentrieren, was der knabenhafte Priester da vorn sagte. Ihm kamen die Worte nur mehr wie sinnleere Geräusche vor. Hohles Gebrabble, absonderlicher magischer Quatsch.
    Vielleicht hab ich ja überhaupt nie etwas von all dem wirklich geglaubt, dachte er. Die Königin lieben? Was für eine verrückte Idee war das im Grunde?
    Und wenn ich nun nur von einer Art Schuldgefühl hierher getrieben wurde? Um irgendwie zu sühnen, was ich mit Kundalimon gemacht habe?
    Der Gedanke bestürzte ihn. War sowas denn möglich? Er begann zu zittern.
    Dann lehnte sich Chevkija Aim zu ihm herüber und murmelte: »Tikharein Tourb wünscht, daß du nach der
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