Der neue Frühling
hinter sich zurück, dann fuhr er herum, um zu sehen, was sich auf der unteren Tribünenplattform tat. Dort ging es anscheinend ebenfalls drunter und drüber. Doch Gardisten waren bereits in Aktion und erstickten den Tumult. Etwas weiter entfernt hatten Thu-Kimnibols Truppen, denen das merkwürdige Gerangel auf der Tribüne aufgefallen war, inzwischen ihre Wagen verlassen und kamen herangestürmt. Aber mitten im Zentrum des Wirbels erblickte Thu-Kimnibol die Gestalt eines Knaben in heller Kleidung, eines Kindes, kaum zehn, zwölf Jahre alt, und der hielt inmitten der Menge die Hände hoch über den Kopf und brüllte und schrie irgendwelche Flüche mit einer wilden schrecklichen wutkeifenden Stimme, die so schneidend war wie Dolche.
»Schau«, sagte Nialli. »Er hat Kundalimons Nest-Schutz! Und sein Nest-Armband auch!« Ihre Augen funkelte jetzt so wild wie die des Knaben. »Bei den Göttern! Den nehme ich mir vor! Überlaß ihn mir!«
Plötzlich war der Barak Dayir in ihrer Hand. Geschickt umfing sie ihn mit ihrem Sensor. Thu-Kimnibol starrte sie verblüfft an, als der Wunderstein sogleich eine merkwürdige Verwandlung an ihr hervorrief: Sie schien zu wachsen, sich zu etwas Riesigem, etwas Fremdartigem zu verformen.
»Ich sehe die Königin in dir«, rief Nialli mit dunkler furchtbarer Stimme und blickte mit loderndem Blick auf den Jungen in dem helleuchtenden Gewand hinab. »Aber ich beschwöre sie herauf und verbanne sie! Ich vertreibe sie von dir! Jetzt! Jetzt! Jetzt! Hinaus!«
Einen Augenblick lang herrschte völlige Stille. Die Zeit selbst hing einen Herzschlag lang wie unbeweglich, wie erstarrt in der Schwebe.
Dann taumelte der Junge, als hätte ihn ein Stoß getroffen. Er stolperte und wand sich und stieß einen schrillen Laut aus, beinahe wie ein Hjjk ihn von sich geben könnte, und dann wurde sein Gesicht grau und dann schwarz, und dann fiel er kopfüber nieder und war in der herandrängenden Menschenmenge verschwunden.
Ruhig steckte Nialli den Barak Dayir wieder in sein Behältnis.
»Nun ist alles in Ordnung«, sagte sie und nahm Thu-Kimnibol wieder bei der Hand.
Stunden später. Die Öffentliche Ruhe und Ordnung waren wiederhergestellt. Sie alle waren im Großen Saal des Präsidiums.
Taniane sagte: »Also haben wir jetzt gewissermaßen so eine Art Frieden. Aus dem Irrsinn des Krieges erwuchs uns eine Art halber Sieg. Oder doch immerhin ein Waffenstillstandsabkommen. Aber was haben wir dabei wirklich gewonnen? Es kann doch jederzeit – wenn die Königin grad dazu gelaunt ist – wieder von neuem beginnen.«
Thu-Kimnibol schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht, Schwiegerschwester. Die Königin hat inzwischen doch etwas genauer begriffen, wie wir sind und wozu wir fähig sind. Nein, von jetzt ab ist die Welt geteilt. Die Hjjks werden uns zufrieden und in Ruhe lassen, das verspreche ich dir. Sie behalten ihre jetzigen Einflußgebiete, wir die unseren. Und es wird keine Rede mehr davon sein, daß ihre Nest-Denker daherkommen und in unseren Städten ihre Missionierungsläden aufmachen.«
»Aber wie wird sich das in Gebieten auswirken, die weder in ihre noch in unsere Einflußsphäre gehören? Das hat Hresh so tief beunruhigt. Daß die Hjjks uns von dem Übrigen ausschließen wollen.«
»Die übrige Welt soll frei und offen zugänglich bleiben, Mutter«, sagte Nialli. »Wir können es erforschen je nach unserem Belieben und wann immer wir dazu fähig sind. Und wer weiß schon, was wir alles entdecken werden? Vielleicht gibt es auf den anderen Kontinenten große Städte, die vom VOLK erbaut wurden. Oder die Menschlichen selbst sind vielleicht aus ihrem Exil zurückgekehrt, wo immer das gewesen sein mag, als die Große Welt zugrunde ging, und leben jetzt wieder hier. Was wissen wir da schon? Aber wir werden es herausfinden. Wir werden überallhin gehen, wohin wir wollen, und wir werden alles erforschen und entdecken, was es zu entdecken und zu erforschen gibt. Ganz so, wie mein Vater es sich für uns erhoffte! Die Königin hat inzwischen eingesehen, daß wir uns nicht auf unserem schmalen Stückchen Küstenland einpferchen lassen. Und wenn schon jemand sich abgekapselt und eingepfercht hat, dann doch wohl die Hjjks in diesen gottverlassenen Gegenden, die sie von jeher bewohnt haben.«
»Also war es doch ein Sieg«, sagte Taniane. »Gewissermaßen.« Sie klang nicht besonders jubelfreudig.
»Ja, ein Sieg, Schwiegerschwester«, sagte Thu-Kimnibol fest und ernst. »Laß dich da nicht irreführen.
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