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Der Nautilus-Plan

Der Nautilus-Plan

Titel: Der Nautilus-Plan
Autoren: Gayle Lynds
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stand still. Ihr ganzer Körper schmerzte, sie war mutlos und erschöpft und sich sehr deutlich bewusst, dass ein Fehltritt oder ein längerer glatter Abschnitt der Steilwand ohne Halt bietende Vorsprünge oder eine Sekunde der Unachtsamkeit den Tod bedeuten konnten.
    Während sie noch gegen die Angst ankämpfte und die Kraft zum Weitermachen aufzubringen versuchte, verschaffte sich in ihrem Kopf eine Stimme Gehör: Du schaffst es. Sie wiederholte die Wörter, und dann wurde Liz plötzlich klar: Ja, es gab ein Problem, gegen das sie etwas unternehmen konnte – sie selbst. Sie musste sich zusammenreißen.
    Ihre überreizten Nerven beruhigten sich. Mit zunehmender Konzentration vergaß sie ihre Schmerzen und Verletzungen. Sie reckte den Kopf, um nach oben zu blicken, aber sie konnte den Rand des Kliffs nicht sehen. Zurück nach oben konnte sie jedenfalls nicht klettern.
    Der Baum ächzte ominös, als seine Wurzeln sich zu lösen begannen.
    Sie zwang sich, ruhig zu bleiben, und blickte nach unten. Die Wand fiel senkrecht ab, noch etwa zehn Meter, und unten am Strand war niemand, der ihr zu Hilfe hätte kommen können. Die Brandung war stark, aber wenigstens war direkt unter ihr Sand, keine Steine.
    Auf der Suche nach einem Halt für ihre Füße entdeckte sie etwa drei Meter unter ihr einen kleinen Vorsprung. Vorsichtig hangelte sie sich am Stamm des Bäumchens, das sich unter ihrem Gewicht immer stärker bog, nach unten.
    Endlich berührte ihre Schuhspitze den schmalen Vorsprung, und fast im selben Moment lösten sich die Wurzeln des Bäumchens in einem Hagel aus Sand und Gesteinsbrocken aus der Felswand.
    Als sie den in die Tiefe fallenden Baum losließ, geriet sie ins Wanken, fing sich aber wieder und drückte sich mit dem ganzen Körper gegen die Wand. Plötzlich hatte sie wieder überall heftige Schmerzen. Um sie unter Kontrolle zu bekommen, atmete sie tief durch.
    Etwas weiter unten befand sich ein anderer schmaler Vorsprung. Vorsichtig kletterte sie von Felsnase zu Strauch zu Grasbüschel nach unten. Sie kam nur stückweise voran. Als sie den Vorsprung erreichte, sammelte sie sich und entdeckte eine dritte Stelle, die ihren Füßen Halt bot. Wenn man sich kleine Ziele setzte, wurde sogar das Unmögliche möglich.
    Als sie auch diesen Vorsprung erreicht hatte, blickte sie wieder nach unten. Noch etwa fünf Meter. Eine riesige Welle, die sich auf dem Sand unter ihr brach, spritzte so hoch, dass sie sie fast erreichte. Ein gutes Zeichen. Eigentlich müsste sie jetzt springen können. Sie berechnete die Höhe, beugte die Knie, spannte sich am ganzen Körper an und machte einen Schritt ins Leere.
    Mit klopfendem Herzen fiel sie durch die Gischt senkrecht nach unten und landete federnd in nassem Sand. Seevögel flogen erschrocken auf. Ihr durchdringendes Kreischen stieg zum Himmel und wurde immer schwächer. Die Finger im Sand, blieb Liz reglos hocken und sammelte sich schwer atmend.
    Als schließlich leuchtend weiße Gischt fast ihre Füße umspülte, fuhr sie sich mit dem Arm über das glühende Gesicht und zwang sich nachzudenken. Es entbehrte jeder Logik, jeder Wahrscheinlichkeit, dass sie das zufällige Opfer eines Irren geworden war. Nein, dieser Kerl war ihr gefolgt. Er hatte sie bewusst zu töten versucht – was ihm um ein Haar gelungen wäre. Aber warum hier? Warum jetzt?
    Schaudernd spürte sie noch einmal seinen eisernen Zugriff um ihre Taille, ihre Machtlosigkeit angesichts seiner sorgfältig geplanten Attacke. Schließlich stand sie auf, wischte sich den Sand von den Händen und begann zurückzugehen. Schon nach kurzer Zeit überkam sie eine seltsame Unruhe. Und dann durchzuckte es sie plötzlich wie ein Blitz. Außer sich vor Wut rannte sie los. Hatte die Vergangenheit sie nun doch eingeholt?

DREI
    Als Liz im psychologischen Institut den Gang hinuntereilte, kam ihr eine Studentin entgegen, die mit abwesendem Blick ein paar Bücher an ihre Brust gedrückt hielt. Dann sah sie Liz.
    Sie riss bestürzt die Augen auf. »Wie sehen Sie denn aus, Professor Sansborough?«
    »Ich bin beim Joggen hingefallen«, antwortete Liz leichthin. »Nicht weiter tragisch.«
    Liz ging weiter. Studenten, Bücher, wissenschaftliche Forschungsarbeit. Das war ihr Leben. Eine wundervolle, anregende Welt des Geistes, die sie zu schätzen gelernt hatte. Sie forschte und lehrte über Gewalt. Sie lebte sie nicht mehr. Das war vorbei. Inzwischen war sie ein anderer Mensch.
    Sie schloss die Tür ihres Büros auf und legte sich zurecht,
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